anschauliche Unendlichkeit

  "Ein englischer Augenzeuge, William Blackmore, der 1868 durch das Tal des Platte River reiste, berichtete von unermeßlich großen Büffelherden, die sich über hundert Meilen hinzogen. Die Plains waren »schwarz von ihnen« [...]. Etwa fünf Jahre später, im Herbst 1873, sah er sich einer völlig veränderten Szenerie gegenüber: Das ganze Land war weiß von bleichenden Büffelknochen, und in einigen Gebieten »sah ich eine ununterbrochene Strecke verwesender Kadaver, deren Gestank wie ein Pesthauch in der Luft lag und auf das Unerträglichste widerwärtig war. Die berufsmäßigen Büffelabdecker waren in die Gegend gekommen.«"
(Quelle: )




"Darauf führte er [= Gott] ihn [= Abraham] ins Freie und sagte: »Blick doch zum Himmel auf und zähle die Sterne, wenn du es kannst!« Und fügte hinzu: »So zahlreich wird deine Nachkommenschaft sein!«"
(1. Mose 15,5)



"[...] Ich saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt im Schatten. Zeitung lesen war alles, wozu ich fähig war, nur die kürzesten Notizen, sinnlose Sommernachrichten, von denen eine dreizehn Zeilen lang über eine Forschungsgruppe in Australien berichtete, der es gelungen war, zu berechnen, wieviele Sterne es im Universum gibt. Genauer gesagt stellte sich heraus, daß es zehnmal so viele Sterne gibt wie Sandkörner auf der ganzen Welt.
Auf allen Stränden, in allen Wüsten, überall.
Meine Laune besserte sich auf der Stelle, und ich vergaß die Hitze. Ich bin einmal durch die Sahara gereist, von Ouargla nach Agadez, und verstehe deshalb nur zu gut die Tragweite der Entdeckung dieser Astronomen. Allein die Zahl der Sandkörner zu berechnen muß als heroische Leistung betrachtet werden. Das aber war es nicht, was mich abkühlte und mir so gut tat, nicht die Rechenoperation an sich, sondern der gesunde und halb idiotische Optimismus dieses Versuchs, etwas zu erklären. Es wurde nicht gesagt, daß die Zahl der Sterne unfaßbar groß ist, was völlig korrekt gewesen wäre, aber trotzdem nur eine lustlose Überlegung. Man gab vielmehr eine Zahl an. Mit mehr Nullen, als irgendwer zählen möchte. Verständliches zu erklären, ist keine Herausforderung. Aber das!
Zwar endete die Nachricht ein bißchen feige damit, daß die Berechnungen nur für den Teil des Universums galten, der per Teleskop sichtbar ist, aber als ich bei der Lektüre soweit gekommen war, war mein verdüsterter Lebensmut bereits restauriert. Und als ein gewisser Dr. Simon Driver in der vorletzten Zeile seinen gesammelten Wankelmut in die Waagschale warf und anmerkte, die Zahl der Sterne könne ebensogut unendlich sein, war ich schon unterwegs. Nichts, und jetzt meine ich wirklich nichts, stimuliert meine Phantasie so wie diese Art rundweg gescheiterter Versuche, etwas zu beschreiben - je dümmer, desto besser.
Wider Erwarten wagt irgendein armer, fachidiotischer Schlucker einen Vorstoß, vielleicht um sich nicht davon krank machen zu lassen, etwas zu ahnen, das kein anderer versteht. Und dann fliegt er natürlich auf die Nase, und alles bleibt genauso unbegreiflich und bizarr wie zuvor. Aber er hat es jedenfalls versucht.
Und ich dachte: Wenn mich jemand so aufmuntern kann, indem er bei der Beschreibung von etwas scheitert, das mich nicht die Bohne interessiert, dann ist das letzte Hindernis überwunden. Nichts konnte mich jetzt noch aufhalten. Mit seinem Vergleich zwischen Sternen und Sandkörnern hatte Dr. Driver die Latte auf ein wunderbar niedriges Niveau gelegt. Jetzt war alles möglich. Die Hitze verlor auf einen Schlag all ihre Macht über meine Sinne, ich erhob mich und ging in die Bibliothek, schloß die Tür, ließ mich am Schreibtisch nieder, zog den Telefonstecker. Schloß die Augen. [...]"
(Quelle: , S. 211f)

"... wie Sterne am Himmel" ist etwa gleichbedeutend mit "... wie Sand am Meer".

Nur scheinen mir (heutzutage) beide Vergleiche wenig erhellend zu sein:

"In klarer mondloser Nacht sieht man am Himmel ca. 2400 Sterne, durch die wie ein Silberband die Milchstraße verläuft."
(Quelle: )

Heutzutage sieht man in erleuchteten Städten nachts nur noch einen Bruchteil dieser 2400 Sterne - und "das Silberband der Milchstraße" überhaupt nicht mehr.

(weshalb man lange Zeit auch gar nicht wusste, dass sie aus Einzelsternen besteht).

(wie Elektronen ununterscheidbaren)

Einzelpartikel, sondern nur eines für das Kontinuum (Sand) gibt.

Wenn überhaupt, so muss das Kontinuum Sand in Einzelteile aufgelöst werden, und zwar am besten durch Bewegung (vgl. ):

 
(Sand, der vom Wind in "Fahnen" über einen kilometerlangen Strand geweht wird)
 

Oder man erzählt eine Geschichte: welch in der Summe unendliche (!) Kräfte müssen unendlich (!) lange gewirkt haben, um große Felsen zu den Unmengen an feinstem Sand, die es gibt, zu zermahlen!


Hier nun aber drei andere Beispiele für anschauliche Unendlichkeit, wobei im ersten ebenfalls die Bewegung eine große Rolle spielt:

  1. Tierschwärme:

 

 
       (wobei das "Ave Maria" hier doch arg dick aufgetragen ist)

(Ein schönes Beispiel für Spiralen ist nebenbei ; vgl. ;

und überhaupt ist natürlich das Schwarmverhalten hochinteressant.)

  1. eine unvorstellbar große und dennoch anschauliche Zahl:

schon Euklid hat mit einem relativ einfachen Beweis gezeigt, dass es unendlich viele Primzahlen gibt - also auch erheblich größere als die im Folgenden genannte:

die bislang (7/2008) größte bekannte Primzahl hat 9.808.358 Stellen

(sie ist nebenbei die 44. "Mersenne-Primzahl" und schreibbar als 232.582.657-1.)

Dabei ist aber "9.808.358 Stellen" genauso unvorstellbar-nichtssagend wie "232.582.657-1".

(Vgl.

"[Bill] Gates gilt nach neusten Einschätzungen mit einem Vermögen von etwa 58,0 Milliarden US-Dollar als drittreichster Mann der Welt."
[Quelle: ]:

das ist so irrwitzig viel, dass ich mir diese Dimension beim besten Willen nicht vorstellen kann - und auch nicht, wie man so viel Geld jemals "brauchen", also ausgeben könnte.)

Kümmern wir uns also nicht weiter um sowieso unvorstellbar große Zahlen, sondern um Einfach-Anschaulicheres:

die erste Seite des Ausdrucks "unserer" Primzahl sieht so aus:

Das sind schon Unmengen von Ziffern, die zudem völlig chaotisch aufeinander zu folgen scheinen. Und alle weiteren Seiten sehen zum Verwechseln ähnlich aus.

Deshalb sollen uns hier nicht die Einzelseiten, sondern nur (auf "Endlospapier") der Stapel aller Seiten interessieren:

Diesen Stapel sollte man wirklich mal anfassen - und hochheben: er wiegt 12 kg! Und diese 12 kg vermitteln eine Ahnung davon, was "unendlich" wiegt.

Ich habe schon viele Leute erlebt, die mit einem ironischen Unterton gefragt haben, wozu denn solch eine große Primzahl "gut" sei (nämlich zu nichts). Aber ich habe noch keinen erlebt, den die schiere Masse des Papierstapels kalt gelassen hat.

Nebenbei: schon allein die Zahl in der ersten Zeile der ersten Seite, also

124575026015369455400855501574799503122795985151151842843670475662591115235997397380559759606616845939100419886882111308706204284,

ist erheblich größer als die vermutliche Anzahl aller Atome im gesamten Weltall!

Der Gesamtstapel besteht aus 1585 Seiten, die auseinandergefaltet ein Papierband von  Länge von  475,5 Metern länge ergeben!

Dieses Auseinanderfalten tue man tatsächlich mal - und spanne das Papierband (mehrfach!) durch sämtliche Schulflure.

Paradoxerweise wird hier das Unendliche gerade durch ein Zurechtstutzen aufs Endliche (475,5 m, 12 kg, ein Block mit den Maßen 14 cm x 46 cm x 30 cm) anschaulich.

PS: Das Kultusministerium müsste verpflichtet werden, jeder Schule pro Schuljahr einige Primzahlstapel zur Verfügung zu stellen.


Die Jagd nach den größten bekannten Primzahlen geht weiter:

45th and 46th Known Mersenne Primes Found!!!!
GIMPS set to claim $100,000 EFF award!
Download free software

On August 23rd [2008], a UCLA computer discovered the 45th known Mersenne prime, 243,112,609-1, a mammoth 12,978,189 digit number! The prime number qualifies for the Electronic Frontier Foundation's $100,000 award for discovery of the first 10 million digit prime number. Congratulations to Edson Smith, who was responsible for installing and maintaining the GIMPS software on the UCLA Mathematics Department's computers.

On September 6th, the 46th known Mersenne prime, 237,156,667-1, a 11,185,272 digit number was found by Hans-Michael Elvenich in Langenfeld near Cologne, Germany!


PS: