Zumindest der pompöse deutsche Untertitel "Jahrhundertmathematiker und großer Entdecker" gehört natürlich in die Kategorie
"Buchtitelversvhandelung".
Überhaupt war der amerikanische Originaltitel viel passender: "Incompleteness - The Proof and Paradox of Kurt Gödel":
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steht die wissenschaftliche Leistung (und der eigentliche Anlass für Gödels Berühmtheit), nämlich die "Unvollständigkeitssätze", im Vordergrund, statt dass mal wieder nette Anekdötchen aus dem Leben eines Genies unter Vernachlässigung all seiner einschlägigen Leistungen geliefert werden. In diesem Sinne ist Goldsteins "Biographie" geradezu vorbildlich.
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deutet der amerikanische Untertitel mit "The [...] Paradox of Kurt Gödel" eine bezeichnende Zweideutigkeit an:
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es liegt ein genitivus subjectivus vor: das von Gödel aufgestellte Paradox;
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es liegt ein genitivus objectivus vor: dass Gödel selbst ein Paradox war
(und entsprechend heißt ein Kapitel im Buch ebenso zweideutig "Gödels Unvollständigkeit").
D.h., Goldstein bezieht durchaus auch Gödels Leben ein, bezieht es aber immer doppeldeutig auf seine mathematische Leistung:
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wie aus diesem Leben die "Unvollständigkeitssätze" entstanden,
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wie sich auch in diesem Leben die Unvollständigkeit zeigte.
Obwohl Goldstein keinen Zweifel an der besonderen Leistung Gödels lässt
(vielleicht konnte tatsächlich nur Gödel diesen Beweis finden, während ansonsten in der Mathematik viele Beweise in dem Sinne unpersönlich sind, dass früher oder später auch ein anderer sie hätte finden können),
ja geradezu - auch so ein Vorteil dieses Buchs! - ihrer Bewunderung für die Person Gödel wie seinen Beweis überdeutlich Ausdruck gibt,
... hat das Buch noch ein viel "höheres" Ziel:
Goldstein will offensichtlich zeigen (und so gesehen ist Gödel bzw. sein Satz da nur "Gewährsmann"), dass der rein formalistische Ansatz der Mathematik nachweislich gescheitert ist ... und auch jeder rein mechanistische Ansatz in Physik, Neurobiologie, ja aller Philosophie.
Dieser Billigmechanismus, der derzeit bei allgemeiner (wenn auch dreist überspielter) Resignation und Ratlosigkeit Urständ feiert (und hinter alle längst erreichte naturwissenschaftliche Erkenntnis zurückfällt), ist aber mindestens ebenso blöd wie sein Spiegelbild, nämlich die Esoterikwelle, und erzeugt letztere sogar mit.
Weil aber das missing link zur Erklärung des menschlichen Gehirns fehlt, schlägt beispielsweise Roger Penrose als Erklärungsansatz die Quantentheorie vor. Mag sein, aber vielleicht fehlt noch eine ganz andere Theorie. Und vor allem ist die quantentheoretische Erklärung des Gehirns in der populärwissenschaftlichen Version prompt Einfallstor für den größten Blödsinn geworden:
Und nebenbei: inzwischen gibt´s sogar die
Max-Planck-Diät :-)
PS: | An einer Stelle ist Goldsteins Buch trotz aller Vereinfachungsversuche noch immer (wohl unvermeidlich) schwierig, nämlich beim eigentlichen Beweis Gödels. Ich bilde mir nicht ein, diese Passage vollständig verstanden zu haben, aber Goldstein ist es dennoch gelungen, mir die geniale Zweigleisigkeit des Beweises zu vermitteln. |
PPS: | Ich erlaube mir hier mal einen doppelten "positiven" Rassismus bzw. Sexismus: Goldstein ist im besten Sinne spürbar (von Goldstein selbst zitiert: "Vermeiden Sie es während Ihres Aufenthalts in Wien [während der Nazizeit], allzu interessant oder originell zu erscheinen, andernfalls könnte man Sie hinter Ihrem Rücken einen Juden schimpfen." [Leon Hirshfeld - natürlich selbst Jude]) - Frau
- und zusätzlich noch unverkennbar Ostküstenintellektuelle.
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