für eine hardcore-Mathematik

Was hier nicht gemeint ist, ist jene durchaus übliche Mini-Macho-Mathematik, die sich in Schulen als Scharfrichter aufführt (vgl. ).


Natürlich kann man in der Schule

gar nicht durchnehmen. Natürlich wäre das eine Überforderung nicht nur der "schlechten", sondern auch der "guten" SchülerInnen.

Oder anders gesagt: man kann eigentlich überhaupt nur eine uralte Mathematik durchnehmen bzw. - wenns mal neuer wird - die "aufgearbeitete" Version in Schulbüchern.


"Natürlich"? Was im Leben ist schon natürlich, also Naturkonstante (und selbst die Feld"konstante" α scheint inzwischen veränderlich)?

So, wie beispielsweise oft mit den Wörtern "merkwürdig" und "komisch" geschludert wird, sie also fälschlich synonym benutzt werden, geschieht es oftmals auch mit "natürlich" und "selbstverständlich": "natürlich" ist meist die ideologisch abgesicherte, allen Fragen entzogene Version von "selbstverständlich" oder genauer: "das war schon immer so, da könnte ja jeder kommen".


Selbstverständlich muss man (exemplarisch) solche Themen wie die oben genannten im Mathematikunterricht durchnehmen

(wobei natürlich frischweg eingestanden sei, dass sie auch schon wieder uralt sind - aber immerhin doch über die Standard-Schulmathematik hinaus gehen),

und zwar aus mehreren Gründen und zu verschiedenen Zwecken:

der Wissenschaften herangeführt zu werden

(soweit sie uns LehrerInnen überhaupt einsehbar ist),

also an die Grenzen des Wissens. Das ist auch und gerade im Hinblick darauf wichtig, dass einige dieser SchülerInnen demnächst wenn auch nicht an diesen (bis dahin vielleicht längst verschobenen), so aber überhaupt an Grenzen weiterforschen sollen.

D.h. auch, dass

"alles [zer-]fließt"

Gleichzeitig haben SchülerInnen aber auch ein Recht auf einen Blick über den Tellerrand (der gerade anstehenden Mathematik) hinaus, bzw. man kann und muss ihnen ab und zu diesen erweiterten Blick abfordern.

Und vorgelebter Forscherdrang ist noch lange nicht Entscheidungsunfähigkeit.

(ich finds schon wirklich bitter, wie SchülerInnen mit "Knobelaufgaben" abgespeist werden - und gerade "bessere" SchülerInnen sich mit sowas abspeisen lassen)

statt echte, süchtig machende intellektuelle "Drogen"

(also das, was die großen MathematikerInnen beschäftigt und die Mathematik weiter gebracht hat).

Vielmehr ist es durchaus im Standard(!)unterricht möglich, Exkurse und Weiterführungen aufzuzeigen und "besseren" SchülerInnen als Referatthemen anzubieten, ja abzufordern.

Einige Beispiele:

e i + 1 = 0

(Überhaupt ist es schade bis geradezu skandalös, dass im Mathematikunterricht so wenig Referate gehalten werden wie in kaum einem anderen Fach, wohinter ja wohl der Standardirrtum steckt, die Mathematik sei eh längst fertig und nur noch abschreibbar, aber nicht mehr [für die SchülerInnen nach-] entdeckbar.

Z.B. kann man sehr wohl auch mathematikhistorische Referate an SchülerInnen vergeben, die eher "geisteswissenschaftlich" orientiert sind - und auf solchem "Umweg" dann vielleicht doch einen Zugang zur Mathematik finden.

Und solche Referate sind nicht nur abzugeben [also für die Lehrkraft bzw. den Mülleimer], sondern der Klasse vorzutragen, damit

Es reicht also beispielsweise nicht, wenn jemand ein erhellendes Computerprogramm schreibt: er muss auch erklären, wie es prinzipiell [mathematisch, nicht computertechnisch] funktioniert.)

Dazu ist es aber unabdingbar nötig, dass die Lehrkraft weitergehende Perspektiven kennt und mit Material (vgl.  ) helfen kann.

"Besseren" SchülerInnen durchaus zumutbar ist auch die (angeleitete) Lektüre der Originaltexte:


Niels Henrik Abel
(1802 - 1829)
auf die Frage, warum er so schnell mathematisch so gut geworden sei:
"Indem ich die Meister studierte, nicht ihre Schüler."

Vgl. auch


Mit all dem ist ausdrücklich nicht abgedrehtes Leistungskursniveau gemeint und auch nicht, dass einE verhinderteR FachwissenschaftlerIn die SchülerInnen seine Privathobbies ausbaden lässt.

Sondern es bedarf des Muts zur Anschaulichkeit und zum ersten Schnuppern. Beispielsweise kann man aus Simon Singhs Buch massenhaft über mathematische Denkweisen lernen, wird aber natürlich nicht Andrew Wiles' Beweis des Satzes von Fermat verstehen, ja nicht mal auch nur ansatzweise in die Höhen heutiger Mathematik steigen können.


Bei Licht betrachtet, ist die derzeitige Schulmathematik nicht nur (für beide Seiten, also SchülerInnen und LehrerInnen) schnarchlangweilig und stumpf (vgl.   ), sondern sie fördert auch nur scheinbar leistungsstarke "Rechenknechte" und Fachidioten.


Selbstverständlich gilt auch hier wieder: wer Neues (freiwillige [!] und offene Exkurse) einfügen will, muss Altes streichen, also die verbindliche Stofffülle mindern.


Keine Bange, es wird einem als LehrerIn äußerst selten widerfahren, dass man ein echtes Genie vor sich sitzen hat, das einen haushoch übertrifft (und beschämt?).

(Und wir alle wissen doch, dass wir keine Genies, ja fachwissenschaftlich [u.a. zugunsten der Pädagogik] "zurückgeblieben" sind.)

Aber das ist auch kein Beinbruch:

Es gibt genug Beispiele in der Mathematikgeschichte (u.a. den Lehrer Bernt Michael Homboe des o.g. Niels Henrik Abel), dass ein (fachlich gesehen) Durchschnittslehrer durchaus anregend für Genies sein konnte, wenn er nur


Aber Naturwissenschaften und Mathematik sind doch sehr viel mehr als nur "hardcore" bzw. der "Harte Kern":

(aus einem Vortrag von Dr. Werner Bickel vom Institut für Lehrerfortbildung )

So wird doch auch und gerade der "hardcore"-Theoretiker Erlebnisse im unteren Bereich ("Intuition, Staunen") haben. Wieso sonst sollte er sich freiwillig lange Zeit dem wahrhaft "Harten Kern" widmen?

Solch ein Erlebnis im "unteren" Bereich kann z.B. - ganz innermathematisch -

("da wäre ich nie drauf gekommen - und um so bewundernswerter ist es")

("da bin ich selbst [!!!] drauf gekommen [auch wenns vielleicht vorher schon ein anderer entdeckt hat")

sein.

Wenn man die "äußeren" Bereiche aber nicht im Unterricht mitbehandelt

(beispielsweise anhand von Wissenschaftlerbiografien)

oder zumindest doch implizit vorführt

(wenn also nichtmal dem Lehrer die Freude anzuspüren ist oder er nur - für ihn - Standardmathematik runterleiert),

fördert man höchstens stumpfe Rechenknechte und engstirnige Fachidioten.


Bleibt zu ergänzen, dass einE LehrerIn schon im Studium kaum jemals Kontakt zur neuesten mathematischen Forschung hatte - und nach langjähriger Lehrerzeit sowieso weitab von aller aktuellen Mathematik ist.

Dennoch kann solch einE LehrerIn

(natürlich nicht vollends fundierte)

Ausblicke in modernere Mathematik liefern - oder als "Hausarzt" die SchülerInnen an "Fachärzte" überweisen, Fachleute in den Unterricht einladen oder zumindest auf Fachbücher hinweisen.


Was dringend fehlt, ist ein monatlicher Lehrer-Rundbrief, in dem allgemeinverständlich (und doch notgedrungen oberflächlich) erklärt wird, was gerade Wichtiges in der Mathematik passiert ist.

Es geht beispielsweise nicht an, dass ein Mathematiklehrer noch nie von und einem der Hauptprotagonisten darin, nämlich Grigori Jakowlewitsch Perelman, gehört hat.

Bzw. das lässt sich nicht (nur) dem Lehrer vorwerfen, sondern (auch) mangelnden Informationsmöglichkeiten.