"Hünengräber zwischen Tecklenburg und Lengerich

 unter besonderer Berücksichtigung des Flechtenbewuchses"

  Was der Volksmund schnöde "Hünengräber" nennt, heißt wissenschaftlich hochgestochen "Megalithgräber", was übersetzt aber auch wieder nur schnöde "Große-Steine-Gräber" bedeutet.


Vor vielen Jahren haben einige Freunde und ich uns einen Spaß daraus gemacht, uns in unserem geliebten, inzwischen aber leider geschlossenen Hubertihof bei dem einen oder anderen Bier gegenseitig Auszüge besonders bescheuerter oder grottenschlechter Doktorarbeiten prominenter Personen vorzulesen.

Da haben wir dann z.B. herzhaft über die Doktorarbeiten des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl oder des damaligen Kardinals und späteren Papstes Joseph "Ratte" Ratzinger gelacht.

Vor ewigen Zeiten habe ich mir mal als Inbegriff überflüssiger und schnarchlangweiliger Wissenschaft im Elfenbeinturm den Doktorarbeitstitel

"Hünengräber zwischen Tecklenburg und Lengerich unter besonderer Berücksichtigung des Flechtenbewuchses"

ausgedacht:

  1. : wenn's nicht gerade


Stonehenge

ist, sind Hünengräber doch höchstens in interessant: .

  1.  : "zwischen [!] Tecklenburg und Lengerich" heißt doch wohl

(insbesondere für Menschen, die nicht - wie ich - im Münsterland wohnen)

"irgendwo im Nirgendwo" bzw. "am Arsch der Welt":

  1. : viele Leute werden nichtmal wissen, was Flechten sind, und wenn doch: was, zum Teufel, interessieren mich irgendwelche Verkrustungen (und dann auch noch auf Gräbern)?!
  2. : der Gipfel der Belanglosigkeit ist aber die Verknüpfung der beiden Nebensächlichkeiten "Hünengräber" und "Flechten"

(die höchstens insofern miteinander zu tun haben, dass Flechten auf vielen ollen Gemäuern und also wohl auch auf Hünengräbern wachsen)

mittels "unter besonderer [!] Berücksichtigung von".


Ich habe oben mit voller Absicht eine Kleinigkeit unterschlagen:

 "[...]  scheinbarer Inbegriff überflüssiger und schnarchlangweiliger Wissenschaft [...]".

Allerdings sind mir erst sehr viel später solide Begründungen für diese These untergekommen:

  1. Irgendwann habe mal im Internet gesucht, ob es zwischen Lengerich und Tecklenburg denn überhaupt Hünengräber gibt - und siehe da, es gibt bzw. gab sogar zwei bzw. genau genommen sogar drei!:

    1.  "Das Großsteingrab von Lengerich-Wechte
 

Das Großsteingrab von Lengerich-Wechte liegt am Nordost-Rand des Münsterlandes unmittelbar vor dem Höhenzug des Teutoburger Waldes. Ursprünglich gab es hier einmal zwei [!] Grabanlagen im Abstand von nur etwa 800 m, die obertägig kaum erkennbar waren. Die Rekonstruktion des Grabes I wurde 1928 errichtet und ist somit eine der ältesten im westfälischen Raum. Als Baumaterial wurden die noch erhaltenen Steine von beiden Gräbern verwendet.

Vor seiner Entdeckung war die Grabanlage von Lengerich-Wechte I nur als flache, etwa 40 m lange Bodenwelle erkennbar. Erst nach Inbetriebnahme einer kleinen Sandgrube, die verzierte Tonscherben der sogenannten Trichterbecherkultur zutage brachte, kam es im Jahr 1928 zu der Entdeckung und Ausgrabung des bislang unbekannten Großsteingrabes. Bei Nachforschungen in der Umgebung stießen die Ausgräber im gleichen Jahr auf das deutlich stärker zerstörte Grab Lengerich-Wechte II.

Aufbau und Grundriss

Die heute auf einer Länge von 35 m erhaltene Anlage ist in etwa Nordost-Südwest ausgerichtet. Die Seitenwände bilden jeweils eine Reihe von 13 bzw. 12 Tragsteinen. In den Lücken zwischen diesen Steinblöcken sind an einigen Stellen die Reste von Trockenmauerwerk sichtbar. Mit seinen ursprünglich nahezu 40 m Länge gehört Wechte I wohl zu den längsten der nordwestdeutschen Großsteingräber, jedoch ist das nordöstliche Schmalende des Grabes noch vor Beginn der Grabung vollständig durch den Sandabbau zerstört worden. Durch den Steinraub der vergangenen Jahrhunderte war außerdem der Großteil der Trag- und Decksteine nicht erhalten. Gut erkennbar war hingegen ein Bodenpflaster aus Geröllen und Sandsteinplatten. Außerdem waren noch kleine Teilstücke des Trockenmauerwerks aus flachen Steinen vorhanden, die den Raum zwischen den Tragsteinen ausfüllten.

Funde

Bereits in den 1930er-Jahren bearbeitete Heinz Knöll eine große Menge an keramischen Funden der beiden Gräber von Lengerich-Wechte im Rahmen seiner Dissertation. In seiner 1959 vorgestellten neuen typologischen Einordnung der Gefäßkeramik aus Megalithgräbern, die mehrere Jahrzehnte lang Gültigkeit besaß, stützte er sich stark auf die Wechter Funde. Das Formenspektrum umfasst nahezu das gesamte Repertoire der Westgruppe der Trichterbecherkultur. Die Hauptnutzungsphase der Gräber datiertet etwa in die Zeit zwischen 3300 – 3075 v. Chr. Das Fundspektrum wird außerdem durch zahlreiche Feuersteingeräte, mehrere Steinbeile, Knochengeräte, Tierzahnanhänger und verschiedene durchlochte Perlen ergänzt. Außerdem waren noch kleine Teilstücke des Trockenmauerwerks aus flachen Steinen vorhanden, die den Raum zwischen den Tragsteinen ausfüllten.

Kulturelle Beziehungen

In den Gräbern fanden sich einige Objekte, die wahrscheinlich nicht vor Ort hergestellt worden sind und die auf ein weitreichendes Beziehungsnetzwerk schließen lassen. So stammen Steinbeile aus Kieselgeoden des Wiehengebirges aus dem Osnabrücker Raum. Eine keramische Sonderform, bei der unklar ist ob es sich um das Fragment einer Lampe oder einer Tontrommel handelt, weist auf Kontakte zu Kulturen aus dem mitteldeutschen Raum, wie etwa der Bernburger Kultur, hin. Die Perlen aus Bernstein und Gagat deuten auf Verbindungen zur niederländischen oder nordwestdeutschen Küstenregion hin. Auf die mit Abstand weitreichendsten Kontakte lassen die Kupferobjekte schließen: Metallurgische Untersuchungen erbrachten einen erhöhten Arsenanteil im Kupferblech aus Grab II, was typisch ist für das »«Mondseekupfer" aus dem nordalpinen Raum; das Reinkupfer, das bei drei Röllchen aus Grab I Verwendung fand, stammt aus den Karpaten."
(Quelle: ; farbige Hervorhebungen von mir, H.St.)

Daran finde ich nun ja doch allemal die Kontakte bis in die Alpen und sogar die Karpaten interessant!

Nicht ganz so interessant:
    1.  "Das Steinhügelgrab Wechte

 

in Wechte, einem Ortsteil von Lengerich in Nordrhein-Westfalen, ist ein versetzter Grabhügel aus der Zeit um etwa 1700 v. Chr., der sich in der Straße „Am Steinhügelgrab 29“ befindet. Das Original befand sich 400 m nördlich auf der Trasse des Autobahnzubringers.

Das zentrale Steinoval von 4,5 × 3 m war aus sechs Lagen verschieden großer mit Sand vermengter Findlinge etwa 0,6 m hoch aufgetürmt. Es enthielt ein Ost-West orientiertes, 0,5 m tiefes, geböschtes Grab von 2 × 0,5 m. Der mit Geschieben [= während der Eiszeit von Gletschern geschobenen Steinen] befestigte Hügelfuß hat einen Durchmesser von 10 m. Der Steinkranz könnte der Rest einer ehemals geschlossenen Steindecke sein, die die gesamte Kuppe der Erdaufschüttungen überdeckte und in der Archäologie als Rollsteinhügel bezeichnet wird."
(Quelle: ; rote Hervorhebung von mir, H.St.)

  1. Jahre später bin ich in ganz anderem Zusammenhang darauf aufmerksam geworden, dass es eine spezielle Methode der Altersbestimmung mittels Flechten gibt:

"Die Lichenometrie ist eine Methode der Datierung, die in der Archäologie, der Paläontologie, der Glaziologie, der Pedologie [?], der Geomorphologie und der Paläoseismologie das Wachstum von Flechten heranzieht, um das Alter freigelegter Felsen oder eines verbauten Werksteins zu bestimmen. Sie wurde 1957 vom österreichischen Wissenschaftler Roland Beschel eingeführt.

Die Methode basiert auf einer vorausgesetzten spezifischen Wachstumsrate der Flechten, die für Krustenflechten bei etwa 0,5–2 mm pro Jahr liegt. Aus dem Durchmesser der untersuchten Flechte und der bekannten Wachstumsrate lässt sich das Alter der Flechte errechnen, und damit auf die Zeit zurückschließen, die der Fels freigelegt ist.

Flechten können bis zu 4.500 Jahre alt werden. Dieser Zeitraum stellt auch die maximale Anwendungszeitspanne dar und umfasst somit nur das Holozän. Dennoch ist sie mit einer Fehlergrenze von 10 % sehr genau, zumindest wenn sie an Gesteinen angewandt wird, die weniger als 1000 Jahre offen zutage liegen. Sie findet vor allem dort Verwendung, wo mit anderen Methoden wie etwa der Dendrochronologie oder der Radiokohlenstoffmethode nicht gearbeitet werden kann. [...]"
(Quelle:
; grüne Hervorhebung von mir, H.St.)

Es ist also doch immerhin denkbar, dass die Verknüpfung von Hünengräber und Flechten mittels "unter besonderer Berücksichtigung von" keineswegs so an den Haaren herbeigezogen ist, wie ich es oben noch dargestellt hatte: man könnte mittels der Lichenometrie vielleicht das Alter von Hünengräbern bestimmen, falls das auf anderem Wege nicht möglich ist

(womit ja nun keineswegs behauptet wird oder auch nur angedeutet werden soll, dass eine Lichenometrie bei den Hünengräbern zwischen Tecklenburg und Lengerich nötig war und versucht worden ist).

Erstaunlich fand ich auch

(erstmal unabhängig von Hünengräbern),

wie enorm alt Flechten werden können.

Ihr potentiell hohes Alter würde aber

(dessen Alter aber sowieso durch die Fundstücke bestimmt werden kann),


 

"Von Leuten, die nie was genauer wissen wollen, soll man die Finger lassen."
(Quelle: )

"Wat dem een sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall
Das Sprichwort findet sich in vielerlei Schreib- und Lautvarianten, bleibt aber in der Regel seiner plattdeutschen Form treu. Nachtigall und Eule sind die bekanntesten Nachtvögel und finden sich in zahllosen Wendungen, Gedichten, Dramen und Prosatexten. Ihre Bedeutung ist darin geradezu gegensätzlich. Während die Eule der dämonischen und unheimlichen, ja teuflischen Sphäre zugerechnet wird, gilt die Nachtigall seit langem als christliches Symbol und natürlich als Liebesvogel, dessen Gesang die Herzen betört.
Insofern kann man das Sprichwort mit einem anderen Sprichwort übersetzen, nämlich: »jedem Tierchen sein Pläsierchen!« Es geht darum, dass zwei Menschen etwas ganz anders auffassen, einen ganz unterschiedlichen Geschmack und unterschiedlich Wünsche haben, ganz andere Urteile fällen."
(Quelle:
)

Es bleibt natürlich jedem unbenommen, die Altersbestimmung von Hünengräbern mittels Flechten nach wie vor "überflüssig und schnarchlangweilig" zu finden.

Die einen finden nunmal hochinteressant, die anderen . Und die einen kannste mit dem anderen jagen.

Man sollte also

(und da werde ich jetzt ja doch pentrant pädagogisch)

großzügig zugestehen, dass andere (oben einige Hünengrab-Spezialisten) aus guten Gründen anderer Meinung sind.

Und man lasse sich doch mal von scheinbar überflüssigen Fragen anstecken, also z.B. von der berühmtesten aller Kinderfragen, nämlich 

    .

Man muss ja nicht gleich katholisch werden

(vgl. und ),

um zu entdecken, dass auch das Unscheinbare und die vermeintlich dummen Kinderfragen hochinteressant sein können:

"Die ‘dumme Frage’ ist gewöhnlich das erste Anzeichen einer völlig neuen Entwicklung."
(Alfred North Whitehead)

Gerade Genies haben das oft beherzigt:

„Wer nicht kann, was er will, der wolle, was er kann.“
(Leonardo da Vinci)

"[...] mir selbst erscheine ich nur wie ein Knabe, der am Meeresstrand spielte
und sich damit vergnügte, da und dort einen glatteren Kiesel oder eine hübschere Muschel als gewöhnlich zu finden [...]"
(Isaac Newton)

"Es erfordert einen sehr ungewöhnlichen Geist, um das Offensichtliche zu analysieren."
(Alfred North Whitehead)