ich bin kein Mathematiker

(sondern Populärwissenschaftler)

Es ist doch ganz einfach:

nehmen wir nur mal das grandiose Beispiel von G. H. Hardys "A Mathematican´s Apology":

"[C.P. Snow] sah in der Apology »ein Buch von quälender Traurigkeit«, das Werk eines Mannes, der seine kreative Phase längst hinter sich hat - und dies weiß. »Es ist eine melancholisch machende Erfahrung für einen Berufsmathematiker, sich selbst über [Hervorhebung von mir; H. St.] Mathematik schreiben zu sehen [statt Mathematik zu BETREIBEN]«, schrieb Hardy."

Es ist halt immer dasselbe: wenn Mathematiker und Naturwissenschaftler so etwa jenseits der 30 nicht mehr wirklich kreativ sind (mit ca. 30 kann ein Naturwissenschaftler seine intellektuelle Beerdigung feiern), aber immerhin doch (durch Erkenntnisse vor den 30) berühmt geworden sind, verlegen sie sich notgedrungen auf die "Philosophie" ihres Fachs
(und dann kommt da oft philosophisch  unausgegorenes, hinterwäldlerisches Zeugs heraus;
wobei die Altersdiagnose ja vielleicht auch auf mich selbst zutrifft?).

Was macht denn eigentlich einen "echten" Mathematiker aus?:

  1. : ein "echter" Mathematiker möchte selbst (neu bzw. notfalls nach-) entdecken:

"Die Funktion eines Mathematikers besteht nämlich darin, etwas zu tun, neue Theoreme zu beweisen, seinen Teil zur Mathematik beizutragen, und nicht darin, darüber zu berichten, was der oder jener Mathematiker vollbracht hat."
(G. H. Hardy)

Und worum´s hier eben nicht geht: um die sekundären Knobler (Kreuzworträtsellöser), die nur vorgegebene (und längst gelöste!) Aufgaben nachlösen können und darin ihren Spaß finden.

Da liebe ich mir die doppelte Demut:

  1. : so groß werde ich eh nie (das wollte ich auch nie), also versuche ich es erst gar nicht;

  2. : ich bin begeisterter Pädagoge, also Anwalt all derer, die (im Schnitt) auch nie so groß werden - und dennoch ein Anrecht haben, die "Denkweisen" der Mathematik zu verstehen, zu erfahren - und zu bewundern!

  1. : einen "echten" Mathematiker interessiert nicht im mindesten irgendwelche Anwendung: wenn´s hoch kommt, freut und erstaunt ihn eine "versehentliche" Anwendbarkeit von Mathematik, aber im Schnitt verachtet er sie sogar als "Verunreinigung" der "reinen", hübsch abgehobenen "wahren" Lehre (die endlich jenseits aller Fährnis des Lebens steht!):

"Ulan [sagte], »er sei ein Theoretiker, der bislang nur die Arbeit mit abstrakten Zeichen und Symbolen gewohnt war; mittlerweile [im Atombombenprojekt der USA im 2. Weltkrieg] sei er aber so tief gesunken, daß sein jüngster Forschungsbeitrag echte Zahlen enthielt, ja sogar solche mit Dezimalstellen; das [...] sei doch eine wahre Schande!«

"Ich habe nie irgendwas »Nützliches« gemacht. Keine meiner Entdeckungen hat direkt oder indirekt, im Guten oder im Bösen, auch nur den geringsten Unterschied für die Lage der Welt gemacht, und wahrscheinlich wird auch keine dies jemals tun."
(G. H. Hardy voller [verzweifeltem?] Stolz; und war er zu naiv, oder konnte er es gar nicht vorausahnen, wie wichtig seine Zahlentheorie heute für Computer und Kryptographie sein würde?)

  1. sei doch unbedingt ergänzt:

"[...] ein Mathematiker [meiner festen Überzeugung nach: wie jeder Wissenschaftler] [hat] erst dann sein eigenes Werk gründlich verstanden und klar genug gefaßt, wenn er es dem nächstbesten Menschen auf der Straße erläutern [kann]"
(Joseph-Louis Langrange)

Im 1. Sinne bin ich allemal kein Mathematiker.

Im 2. und 3. Sinne bin ich es allemal!

(Wenn es um die innere geht und um ihren Gültigkeitsanspruch in einer anderen, ganz eigenen, metaphysischen Welt, merkt man schnell, wer Mathematiker ist - und wer nicht. Da führen Diskussionen genauso wenig weiter wie etwa die zwischen einem gläubigen Christen und einem Atheisten, da versucht nur ein Sehender [welcher von beiden?] einem Blinden zu erklären, was "rot" ist.
Nebenbei: der Mathematiker, der seine innermathematische Sicherheit rechthaberisch auf die Außenwelt anwendet und letztere damit vielleicht sogar verwirft ["Goethe ist aber unlogisch"], hat auch nichts kapiert, ist also eben gerade kein Mathematiker.)

Aber dass jemand die Erkenntnisse kulturell einzuordnen versucht, ist mindestens ebenso wichtig wie die Erkenntnisse selbst.