Luxusmathematik

 

"Ich kann auf alles verzichten,
 nur nicht auf meinen Luxus."
 (Oscar Wilde)


Es gibt manchmal gewisse Minderwertigkeitskomplexe etwa von Hauptschul- gegenüber GymnasiallehrerInneN, und diese Minderwertigkeitskomplexe drücken sich oft in einer leisen oder lauteren Animosität aus.

Diese Minderwertigkeitskomplexe haben oftmals sogar einen guten Grund, nämlich in der herablassenden Überheblichkeit so einiger "Philologenverbands"-GymnasiallehrerInnen und insbesondere solcher, die sich als reine OberstufenlehrerInnen (= gescheiterte Professoren) verstehen.

(Überhaupt ist es schlichtweg absurd bis geradezu zynisch, dass Haupt- und RealschullehrerInnen mehr arbeiten müssen und weniger verdienen.)

Als ich jüngst einer Gruppe von MathelehrerInneN aus verschiedenen Schulformen meine Ideen zum Mathematikunterricht vorstellte

(also

explodierte eine anwesende Hauptschullehrerin regelrecht und sagte, solch eine "sch... [wörtlich:] Luxusmathematik" könne ich mir ja vielleicht an meinem Gymnasium leisten, sei aber an einer/ihrer Hauptschule schlicht undenkbar, und wenn meine Vorstellungen Thema der Arbeitsgruppe würden, werde sie diese umgehend verlassen.


Letztlich kann ich über "die" Hauptschule gar nicht mitreden, aber ich ahne doch die Schwierigkeiten, vor denen LehrerInnen da stehen, und habe einen vorauseilenden Heidenrespekt vor ihrer Arbeit.

(Und wenn ich ab und zu davon rede, wie LehrerInnen derzeit durch "die" öffentliche Meinung und zunehmende bürokratische Gängelung fertig gemacht werden, so meine ich damit weniger mich selbst und "meinesgleichen" als vielmehr und vor allem eben LehrerInnen, die unter schwierigsten Bedingungen arbeiten und dennoch noch immer pauschal abgeurteilt und gemaßregelt werden: auf Leuten, die bereits am Boden liegen, trampelt man nicht mehr rum!

... womit ich nun auch wieder nicht sagen möchte, dass sämtliche HauptschullehrerInnen "am Boden liegen", sondern da wird von Hauptschule zu Hauptschule zu differenzieren sein, und sowieso wird´s da KollegInnEn geben, die ihren Beruf alles in allem freudig und engagiert ausfüllen.)

Ich kann also letztlich auch nicht darüber mitreden, inwieweit und ob überhaupt meine mathematischen Vorstellungen in einer Hauptschule umsetzbar sind

(ich lasse mich da gern - differenziert - belehren).

Aber ich kann doch immerhin soviel sagen:

  1. sind meine Ideen sowieso keine Patentrezepte

(und auch nicht immer einsetzbar; nicht umsonst spreche ich nur von ),

  1. funktionieren sie auch an (m)einem Gymnasium nicht problemlos,

  2. wird ihre Umsetzung auch dort im Zeichen der totalen Fixierung auf zentrale Prüfungen immer schwieriger,

  3. halte ich meine Ideen aber für gar nicht so abgehoben, wie der "elaborierte" Titel es noch suggerieren mag. Beispielsweise könnte ja auch und gerade in Hauptschulen höchst angebracht sein,

  4. vermute ich, dass die grundsätzlichen Probleme von SchülerInneN mit Mathematik überall inetwa gleich sein werden (z.B. Termumformungen sind "an sich" schwierig).

Und dass

(nur im Einzelfall?)

solche Mathematik durchaus auch, ja vielleicht sogar gerade "schwächere" SchülerInnen wenn schon nicht

(am üblichen, einseitigen Maßstab gemessen)

"besser", aber doch interessierter machen kann, "beweist" folgende Email:

"Also, ich bin eine Schülerin der ehemaligen Klasse [NN], die Sie letztes Jahr versucht haben, in die hohe Kunst der Mathematik einzuweihen. Leider bin ich nun wirklich kein Mathegenie und bin schon froh darüber mit einer Vier auf dem Zeugnis davon gekommen zu sein. Jedoch will ich noch einmal betonen, dass mir Ihr Unterricht trotz allem Spaß gemacht hat. Danke dafür, dass Sie stehts darauf bedacht waren, den Unterricht (was bei Mathe denke ich mal schwieriger ist als in manch anderen Fächern) so abwechslungsreich und spannend wie möglich zu machen."

... eine Email, die mich gewaltig anrührt und die ich mit wenig Stolz und viel Demut lese.


"Der Mathematikunterricht braucht ausgedehnte, von keiner Klassenarbeit und keinem Pausengeklingel und keiner Biologiestunde beeinträchtigte Zeitblöcke. Freiräume, in denen die Klasse an interessanten Problemen arbeitet, also an solchen, aus denen neue interessante Probleme entstehen - und wenn zu ihrer Lösung Neues gelernt werden muss, dann ist der »Sinn des Stoffs« unmittelbar einsichtig.
Gegen diese Art des diskursiven und explorierenden Unterrichts ließe sich einwenden, er sei ein Mittelschichtsideal. Die häuslichen Voraussetzungen vieler Kinder setzten sie nicht in den Stand, sich in einem solchen Unterricht artikulieren zu können; für sie sei Auswendiglernen und das Einüben von Rechenverfahren die bessere Ausrüstung für das spätere Leben. Die beiden Gegenargumente lauten: Erstens wäre das kein guter Grund, den besseren Schülern einen solchen Unterricht zu verweigern. Zweitens aber ließe sich ein solcher Unterricht an unterschiedliche Niveaus anpassen."

(Gero von Randow in ; und vielleicht ist ja sogar was an der direkten Fortsetzung dran, auch wenn sie arg wirklichkeitsfremd, wenn nicht sogar ein wenig herablassend-gönnerhaft klingt: "[...] Und er [= solcher Unterricht] wäre mehr als alle anderen schulischen Aktivitäten geeignet, gerade die Unterprivilegierten erleben zu lassen, dass auch sie selbstständig denken können. Dass sie frei sein können.")

"Neue Ideen sind aufgetaucht, nicht als überflüssiger Luxus, sondern als unerbittliche Folgerungen aus neuen Tatsachen, und die alten Ansichten lassen sich nun einmal nicht ganz unverändert aufrechterhalten."
(Max Planck über die Physik seiner Zeit)