warum Mathematik so unbeliebt ist

Mir scheint die - bewusst zugespitzte - Frage "Warum ist Mathe so unbeliebt?" in eben dieser Zuspitzung schon falsch gestellt:

  1. weil es ja durchaus Leute gibt (FachwissenschaftlerInnen und -lehrerInnen, aber auch einige SchülerInnen), die durchaus gerne Mathe treiben

(... wobei mal dahin gestellt sei, ob das immer die sympathischsten Menschen sind; mir scheint vielmehr manchmal, in der Mathematik treiben sich auch eine Menge kleiner, pickliger Jungs rum, die mit den - ja in der Tat manchmal schwer erträglichen - Unwägbarkeiten des Lebens nicht zurecht kommen und deshalb fast schon jugendsektenhaft in die [vermeintlich] letzte Wahrheit, also Mathematik fliehen; gerade diese Jungs sorgen dann aber dafür, dass mit ihnen selbst auch die Mathematik so unsympathisch erscheint;

diesen Jungs würde ich doch gerne andauernd den Kurt Gödel um die Ohren hauen: "seid euch nicht so verdammt sicher!").

  1. wäre doch zu fragen, ob die Unterstellung "Mathematik ist [bei den allermeisten Menschen/SchülerInneN] so unbeliebt!" überhaupt stimmt bzw. was die Erhebungsbasis für diese Annahme ist.

Wie denn ist es zu erklären, dass Mathematik zumindest in NRW das häufigste (frei gewählte) Abiturfach ist?
 

  1. Mathe muss als "Kernfach" (der Superlativ von "Hauptfach") sowieso bis ins Abitur gewählt werden, und da - wenn man sowieso schon durch muss - liegt es dann einfach nahe, es auch als Abiturfach zu nehmen. Die oben genannte Freiwilligkeit ist also zumindest zweifelhaft (nur ein Scheinerfolg der Mathematik?).

  2. Ich kenne eine Menge SchülerInnen, die zwar kein Herz für Mathematik haben, aber dieses Fach dennoch mit der Begründung schätzen:

"Da ist alles [im Gegensatz etwa zu solch einem (scheinbaren) Laberfach wie Deutsch] so schön verlässlich, da kann man gut für pauken."

SchülerInnen, die so sprechen, "mögen" das Fach Mathematik also gerade wegen seiner Stumpfheit (s.u.)!

(Vgl. auch )

Nach solchen Relativierungen der Ausgangsbehauptung nun aber meine Vermutungen, warum Mathematik bei vielen Leuten (SchülerInneN, aber auch - in Folge der Schulzeit?! - lange danach) tatsächlich so unbeliebt ist:

  1. muss nicht jedeR alles können und an allem Spaß haben

(von mir aus soll jedeR Schülerin ihr/sein schlechtestes oder ungeliebtestes Fach endgültig abwählen können; die Grundgedanken dieses Fachs wird sie/er in ähnlichen Fächern [hoffentlich] dennoch mitbekommen);

  1. der alte Familienmythos:

"Schon meine Oma konnte keine Mathe, das liegt bei uns in der Familie

[heutzutage - und insbesondere für phantasielose Menschen - ist alles Genetik!]

- und ist damit unveränderlich/legitimiert."

Also eine Art Fatalismus, der aber - auch ein schlauer Selbstschutz-Mechanismus! - oft in Stolz gewendet wird

(Nebenbei: auch und gerade "Mathe-Hasser" haben oftmals einen Heiden-Respekt vor Mathematik und MathematikerInneN; letztere stehen dabei oftmals im Ruf fast schon unnatürlicher - und unerreichbarer - Intelligenz):

  1. C. P. Snows "zwei Kulturen": die Geistes"wissenschaftler" haben keine Ahnung, was Mathe und Naturwissenschaften eigentlich sind, und sie sind sogar noch stolz darauf, weil Mathe und Naturwissenschaften (angeblich) "eiskalt-unmenschlich" und phantasielos sind;

  2. und meiner Meinung nach der Hauptgrund: weil Mathematik meist so "unmenschlich", d.h. ohne den Menschen (seine Erkenntniswege, die Wissenschaftsgeschichte) vermittelt wird, als falle sie fertig (und erniedrigend) vom Himmel;

  3. , weil Mathematik meist völlig unanschaulich unterrichtet wird

(wobei man Anschaulichkeit nicht - wie heute allzu oft - mit [scheinbarer] Anwendbarkeit verwechsle; vgl. "Anschauung statt Anwendung" );

  1. , weil es nicht gelingt, die filigrane Eleganz  dessen zu vermitteln, was Mathematik vor allem ist: Beweise

(vgl. );

vielmehr werden Beweise oftmals nur als stumpf nachvollziehbar, erschlagend, wenn nicht gar hinterhältig empfunden

(vgl. etwa Schopenhauers Kritik an mathematischen Beweisen, bei denen man zwar jeden Einzelschritt, aber nicht das "Ganze" versteht und am Ende nur widerwillig zustimmen kann);

Genau hier aber scheiden sich die Geister:

Für erstere ist es aber oft ein langer und mühsamer, wenn nicht gar völlig ungangbarer (?) Weg, zu letzteren zu stoßen. Es misslingt meistens (oder wird erst gar nicht versucht), ersteren die Freude am innermathematischen Spiel zu vermitteln - die aber letztlich Grundvoraussetzung für "richtige" Mathematik ist.

  1. weil Mathematik wie kaum ein anderes Schulfach gnadenlos stumpf (bis zu 13 Jahre am Schulbuch entlang) unterrichtet und letztlich immer dasselbe (Termumformungen, Gleichungslösungen) gemacht wird; vgl. und ;
     

  2. , weil Mathematik (zumindest so, wie sie häufig vermittelt wird) nie Fehler macht und immer gnadenlos recht hat (also beschämt). Das ist bei Menschen abstoßend - und bei einem Fach genauso;

  3. , weil sich die (Pseudo-)Objektivität der Mathematik auch in den Schulnoten ausdrückt: Mathematik ist an vielen Schulen führend bei den Sitzenbleibern und Nachprüflingen. Gerade als "Kernfach" hat sich Mathematik zum willfährigen Helfershelfer der derzeit wieder modischen Auslese gemacht (und wird dementsprechend meistens kaum als Selbstzweck betrieben); vgl. ;

  4. Mathematik ist (was sich in Schulen kaum zeigen lässt, aber allemal stimmt) Basis aller rasanten technischen und naturwissenschaftlichen Neuerungen.

Nun bin ich zwar nicht so blöd, bei letzteren nur Nachteile zu sehen, aber viele Menschen fühlen sich dadurch doch überfordert und lehnen somit auch den "eiskalten Urheber", d.h. die Mathematik, ab.

(Vgl. etwa die Esoterikwelle, die man ja immerhin auch als Aufschrei gegen eine einseitige bzw. unerfüllende Rationalität verstehen kann.
Nebenbei: man kann die technischen Neuerungen durchaus benutzen, ohne sie zu verstehen, ja sie funktionieren überhaupt nur so massenhaft, weil man die Mathematik und Ingenieurskunst dahinter nicht verstehen muss; und vielen Menschen gelingt es anscheinend auch problemlos, alle gängige Technik zu nutzen [den neuesten BMW zu fahren] und gleichzeitig extrem kritisch gegenüber der wissenschaftlichen Rationalität dahinter zu sein [Esoterikkurse zu besuchen]).

Aber auch hier sehe ich das Problem vor allem in der (schulischen) Vermittlung begründet. Da wird z.B. oftmals in Physik und Biologie (u.a. - s.o. - derzeit bei der Genetik) ein billig-brutales mechanistisches Weltbild verbreitet, das - und da wird´s politisch - den derzeitigen Machthabern nur recht sein kann, das die schlauere Hälfte der Naturwissenschaftler aber doch selbst schon vor über 100 Jahren hinter sich gelassen hat.

Es sind also nicht (immer) gerade die Dümmsten, die (solch eine Art) Mathematik ablehnen!

PS:

Ich habe eine Menge "Mathe-Hasser" erlebt, die lange nach der Schulzeit durchaus offen dafür waren bzw. erfahren wollten, was Mathematik eigentlich "ist". Nur durfte die Erklärung nie wieder in Schulmanier erfolgen.