sokratisches Fragen

vgl. im Gegensatz dazu "Fragen, Fragen, nichts als Fragen"

"Somit bliebe hauptsächlich noch die Mathematik übrig, welche auf Sokratische Weise gelehrt werden könnte.
[...]
Aber schön wäre es, wenn der Geist, aus welchem sein [des Sokrates] Wirken hervorging, überall die Seele der Erziehung und des Unterrichts wäre - seine hohe Begeisterung für das Wahre, Schöne und Gute, und die Liebe seines reinen Gemüths."
(Karl Weierstraß in "Über die sokratische Lehrmethode und deren Anwendbarkeit beim Schulunterrichte")

"In seinem Dialog »Menon« läßt der Philosoph Platon (428-348 v. Chr.) als Lehrer den berühmten Sokrates und den Sklaven Menon als Schüler auftreten. Es wird angenommen, daß Menon nichts weiß, sondern nur gesunden Menschenverstand besitzt. Sokrates bringt dem unverbildeten Menon bei, daß die Diagonale eines Quadrats der Seitenlänge 1 eine irrationale Länge hat. Da nach dem Satz des Pythagoras die Länge der Diagonale gleich √2 ist, er zeigt ihm also, daß Wurzel 2 eine irrationale Zahl ist. Dies geschieht durch einen Widerspruchsbeweis, der mit Methoden der Teilbarkeitslehre geführt wird.
Diese Szene des Dialogs dient Platon nämlich als Untermauerung seiner These, daß das gesamte Wissen im Grunde in jedem Menschen schon steckt, und daß es beim Lernen nur darum geht, dieses Wissen hervorzuholen, bewußt zu machen, genauer gesagt: den Schüler an das, was er eigentlich schon weiß, zu erinnern. Platon spricht in diesem Zusammenhang von »Hebammenkunst« Er ist der Ansicht, daß ein Lehrer das Wissen nicht für den Schüler produziert, sondern es aus ihm herausholt - so wie eine Hebamme das Kind auch nicht macht, sondern nur bei seiner Geburt hilft.
Natürlich gab es auch Kritik an dieser Ansicht: Wenn diese Art von Unterricht funktionieren soll, müßten die Fragen so suggestiv sein, daß die Schüler richtig antworten müssen! Und wenn dies so ist, dann würde das gar nichts beweisen!
Ich finde aber: Eine immer noch verführerische These und ein ernstzunehmender Ansatz für das Lehren und lernen (nicht nur) von Mathematik."
(Albrecht Beutelspacher in: Mathematik für die Westentasche)

Unter sokratischem bzw. mäeutischem (= Geburtshelfer-)Fragen versteht man also eine Fragetechnik, die nicht bloß suggestiv ist ("du weißt schon, was ich meine"), sondern die Erkenntnisse derart aus dem Befragten "herauskitzelt", dass jener das Gefühl hat, selbst auf sie gekommen zu sein. Das ist beispielsweise möglich, indem man nach den Begründungen für Behauptungen fragt.

Solches sokratisches Fragen lässt sich durchaus auch in Schulklassen installieren: einE leistungsstärkereR SchülerIn darf einer/m leistungsschwächeren MitschülerIn nicht mehr vormachen, wie etwas (richtig) geht, sondern nur noch nachfragen bzw. kleine Tipps geben:

Möglich ist da ein "Expertensystem" folgender Art: Bei "Etüden", also dem unvermeidbaren "Einpauken" von bereits Bekanntem, lösen SchülerInnen massenhaft Aufgaben. Wer eine Aufgabe richtig gelöst hat (oder zu haben meint), schreibt an die Tafel die Aufgabennummer und seinen Namen, und ebenso tut das einE Zweit- und DrittentdeckerIn. Im folgenden können nun

Insbesondere leistungsschwächere SchülerInnen können oftmals ihre Probleme nicht eingrenzen (und dann nacheinander abarbeiten), sondern nur sagen: "Ich verstehe gar nichts mehr." Genau da ist "sokratisches Fragen" hilfreich.

Vgl. auch

Bernd Gerling, Anne Hoefermann, Oliver Schöming, Armin Schünemann (1996): Das Unterrichtsgespräch: fragend-entwickelnd oder neosokratisch?