Fragen, Fragen, nichts als Fragen

Vorweg sei aus einem meiner eigenen Texte zitiert (vgl. ):

"Wir [???, s.u.] folgen einem typischen und für die Geschichte der Mathematik äußerst anregenden Impuls: wir wollen, was wir geometrisch (zeichnen) können, auch rechnerisch können (und umgekehrt).

Im hier vorliegenden Fall:

mit einem durchgehenden Strich zeichnen, also ohne jede Lücke.

Und genau das ist vielleicht schon zu mathematisch gefragt : für den Laien ist es vermutlich gerade deshalb selbstverständlich, dass "natürlich" keine Lücken vorliegen, weil "es" sich ja zeichnen lässt, und

Das Problem an der letzten obigen Frage, also "Bleibt dann wirklich keine einzige Lücke?", ist zudem, dass sie sich - typisch mathematisch! - schon nach einer Antwort anhört:

»Ich bin schon da«

Und das geschieht gerade deshalb, weil der Leser fast schon mit Gewalt auf etwas gestoßen wird (angebliche und dann doch nicht vorhandene Lücken), an das er von sich aus vermutlich gar nicht gedacht hätte. Der Laie hätte also von Anfang an richtig gedacht, und demnach ist jeder mathematische Umweg für ihn überflüssig.

Bzw. der Leser hat ja gar keine Chance zu durchschauen, weshalb die Frage, ob der Zahlenstrahl "randvoll" ist, mathematisch (aber eben auch nur da) durchaus heikel ist.

Derart selbstquälerisch-fliegenbeinzählerisch genau musste ausgehend von dem oben zitierten exemplarischen Anlass mal den mikroskopisch kleinsten Windungen einer Frage nachgegangen werden  - weil das in der üblichen Pädagogik sonst nie passiert und sich daher allüberall Suggestiv-, aber eben nicht erkenntnisleitende Fragen festgesetzt haben.

Könnte es gar sein, dass jede Frage (wie auch jedes "wir") suggestiv und damit bevormundend-herablassend ist?

Bzw. vielleicht sollte ein Autor (und auch ein Lehrer?)

Fragen aber sind insbesondere in Büchern gefährlich, weil der Leser ja grundsätzlich nicht (direkt) antworten kann bzw. der Autor nie erfährt, ob der Leser antworten konnte. Wenn der Leser nämlich nicht antworten konnte, wurde er nur (oftmals beschämend) auf eine endlose Fährte ohne Ziel gesetzt.

(Dasselbe gilt für ein "wir" in Büchern: der Autor kann halt nicht wissen, ob der Leser sich da mit einbezieht - oder sich solch "vornerum" freundlicher, "hintenrum" dreister Eingemeindung verweigert.
Kommt hinzu, dass "wir" oftmals nur bedeutet "alle Intelligenten, alle Katholiken usw.": wer sich da nicht anschließt [anschließen kann] ist also dumm, Ketzer ...)

Und gilt das nicht auch für den Unterricht, also die direkte Begegnung SchülerIn/LehreIn?: meistens erfährt doch die Lehrkraft nach einer Frage nur, dass einE SchülerIn antworten konnte. So gesehen ist es fast besser, wenn überhaupt keinE SchülerIn antworten kann. Dann weiß man wenigstens repräsentativ, woran man ist - es sei denn, die SchülerInnen haben gar nicht zugehört, die Frage ist ihnen herzhaft egal oder sie sind sich einfach zu schade, auf eine allzu dumme Frage die durchaus bekannte Antwort zu geben.

Die "einzig wahren" Fragen sind wohl jene, auf die auch der Lehrer/Autor keine Antwort hat - oder zumindest nicht sofort eine. Und das signalisiere er auch.

(Ich zumindest kann bei der Belegung des Zahlenstrahls durch die bislang bekannten Zahlen nur sagen: "gibt´s da nicht vielleicht doch noch irgendwo eine klitzekleine Lücke, reichen also vielleicht nicht mal die transzendenten Zahlen?" Ein Beweis für das Gegenteil [also die tatsächlich vollständige Ausfüllung] ist zumindest mir im Augenblick nicht bekannt.)

Die Fragen, die "nicht mal" der Autor/Lehrer beantworten kann, würden zumindest phasenweise mal "Gleichberechtigung" herstellen und wären vermutlich überhaupt erst die wahrhaft interessanten Forschungsfragen.

Mal ernsthaft: warum macht man nicht auch mal Unterrichtseinheiten, in denen die Lehrkraft ausdrücklich auch noch nicht alles weiß, sondern mit den SchülerInnen zusammen forscht und höchstens "Lernfachmann" ist?
Nebenbei: solch ein (partielles) Nichtwissen einer Lehrkraft träte automatisch beim fächerübergreifenden "Teamteaching" zutage. Die jeweils nichtwissende Lehrkraft könnte dabei aber was anderes Wichtiges vormachen: Neugierde und Lernverfahren.

(Zum Eingeständnis, dass man auch nicht alles weiß, gehört aber vermutlich schon eine gewisse Souveränität, also auch Berufserfahrung: das Wissen, dass man meistens durchaus was weiß, also nicht [wie einige LehrerInnen] mangels Fachwissen andauernd "im Hemd" dasteht; und pädagogische Strategien, um mit offenen Fragen umzugehen.)


Warum fragen dann aber LehrerInnen (ich!) so entsetzlich viel?

(Es kommt ja schon ihnen selbst und nicht nur den SchülerInnen zu sämtlichen Poren heraus, und nur einige wenige.merken gar nichts mehr.)

  1. , weil sie es nicht anders gelernt haben,

  2. aber auch aus der puren Not heraus:

Das ewige Fragen geht den LehrerInneN ja schon selbst auf die Nerven, und deshalb begehen sie oftmals "Flucht nach vorne": "bevor ich aus »denen« herauskitzle, was sie sowieso nicht wissen [können] und was sie auch nicht interessiert, bin ich doch lieber ehrlich - und halte einen [manchmal ja durchaus pädagogisch (!) erstklassigen] Lehrervortrag." (vgl. )

  1. weil es eben auch ein positives, sokratisches Fragen gibt, das allerdings nicht gerade (zumindest für mich) einfach ist: die Fragen sollten nicht (wie meistens im Unterricht) von außen an den Befragten herangetragen, sondern sozusagen aus ihm "heraus gekitzelt" werden: der Befragte sollte geradezu denken: "so ähnlich habe ich mich das schon immer gefragt, aber erst jetzt, wo es so auf den Punkt gebracht wird. wird mir das klar". Oder die Fragen (und da können sie ein unzulässiger Eingriff werden) erwischen den Befragten wie ein Schlag der Selbsterkenntnis: er stellt sich selbst bis in seine Fundamente in Zweifel.
    Gerade deshalb ist es wichtig, dass der sokratische Frager nie selbst antwortet (die Antwort oftmals nicht mal kennt und sie auch nicht unterstellt), sondern den Befragten antworten lässt, wozu auch die Freiheit gehört, nicht zu antworten (nicht antworten zu brauchen, eben weil die Frage schon falsch gestellt war bzw. nicht "traf").
    In einem sokratischen Fragenspiel richten sich zudem die Folgefragen jeweils nach den vorherigen Antworten, d.h. es läuft nicht vollkommen vorgeplant wie oftmals in Stundentwürfen

(wobei man ergänzen sollte: solche Planung dient ja eigentlich nicht dazu, sie dann im Unterricht auch eisern durchzuziehen [die SchülerInnen als Antwortautomaten], sondern "nur" dazu, vorweg zu überlegen, was SchülerInnen antworten könnten - und ob SchülerInnen auf gewisse Fragen überhaupt antworten können, die Fragen also verständlich und eindeutig sind.
Meistens sind Fragen - und zwar gerade im Fach Mathematik - aber allzu eindeutig, sie lassen überhaupt nur eine Antwort [richtig/falsch] zu - und genau dazu sind SchülerInnen sich oftmals zu schade: "lieber Lehrer, sag´ die Antwort doch selbst".)

Fragen sind also keineswegs überflüssig. Es sollte "nur" erreicht werden, dass sie den Befragten "innerlich" erreichen.


Das penetrante Fragen rund um die Uhr und 13 Schuljahre lang hat - so scheint mir - noch einen anderen fatalen Effekt: die SchülerInnen müssen doch geradezu den Eindruck bekommen, alles werde totproblematisiert - und hören dann schon (wenn sie freundlich sind) gar nicht mehr zu ("lass ihn [den Lehrer] reden, der braucht das").

Mit "totproblematisiert" meine ich noch etwas anderes, was wohl eher in Geisteswissenschaften anliegt: ein penetrantes Moralisieren, das mir allerdings letztens auch in einer Mathematikaufgabe aufgefallen ist, in der Strategien gegen Gewalt behandelt (oder genauer: schnöde mathematisiert) wurden, nie aber die Ursachen für (auch die Lust auf) Gewalt vorkamen. Solches Moralisieren lässt aber viele SchülerInnen mit ihren überbordenden und Ausdruck suchenden Energien allein bzw. empfiehlt nur deren Abwürgen, also das Korsett.

Wo denn bleiben - wenigstens ab und zu mal - die lebensrelevanten  und lebbaren Antworten?

Bzw. wo wird denn mal frisch-fromm-fröhlich-frei geantwortet,

im Science-Fiction-Roman "Per Anhalter durch die Galaxis" von Douglas Adams wird der Supercomputer Deep Thought mit der Lösung der Frage nach dem Sinn des Lebens beauftragt; nach einer wüsten Rechen-Orgie präsentierte er die Antwort: "42");


Aber ich will nicht allzu ausschließlich werden: eine Frage bzw. ein "wir" kann auch einfach nur freundlich "bei der Hand nehmen".