das Elend des Korrigierens
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Vorweg:
Es gibt erheblich schlimmere Berufe.
Der Lehrerberuf hat auch ganz besondere Vorteile, und zwar nicht die angeblich massenhaft Ferien, aber eben doch die (abgesehen eben von Korrekturphasen) relativ freie Zeiteinteilung, vor allem aber die permanente Begegnung mit jungen Leuten.
Zwar interessiert mich auch noch so vieles Anderes, aber ich würde doch immer wieder Lehrer werden - ohne die Korrekturen.
Eigentlich müßig (und sowieso fatal folgenlos), nochmals zu erwähnen, was
- außer eventuellen Disziplinproblemen sowie dem andauernden Agieren vor und (manchmal auch mit) 30 SchülerInnen (und 180 am Tag) -
vor allem Lehrerleben kaputt macht:
der permanent zunehmende Formal- und Kontrollschwachsinn, den die Kultusbürokratie kontinuierlich ausbrütet,
insbesondere aber (zumindest in einigen Fächern) die Korrekturberge,
die sich eher als Sisyphosberge enthüllen: da ist man gerade mit dem einen Klausurstapel fertig (und meint, jetzt mal Zeit für den Unterricht und - horribile dictu - sich selbst zu haben), da muss man schon an den nächsten ran.
Klausuren bzw. Korrekturen sind die in irgendeinem wahnsinnigen Gehirn speziell für (Deutsch-)LehrerInnen ausgebrütete Höllenqual!
Was ein pflichtbewusster, also masochistischer Beamter ist, korrigiert ja sogar noch mit einer Hand aus dem Sarg:
Mal ernsthaft: ich hab's erlebt, dass eine Kollegin am Tag nach einer Operation im Krankenhausbett ihre Abiklausuren korrigierte, weil die fertig werden mussten.
Wer das nie durchgemacht hat bzw. wem jegliche soziale Phantasie fehlt, sich das vorzustellen, der weiß wahrhaft nicht, wovon er redet, und hat also auch jegliches Recht verspielt, mitzureden. |
(Das gilt auch für einige KollegInnEn mit Nebenfächern, die überhaupt nicht wissen, was richtige Arbeit ist, bzw. denen die Phantasie fehlt, sich Arbeit vorzustellen.
Wobei nun beileibe nicht alle NebenfachlehrerInnen faul sind und sowieso nur einigen diese Phantasie fehlt. Und wenn überhaupt, so bin ich neidisch, aber nicht missgünstig: alle LehrerInnen sollten Zeit für Pädagogik statt für Korrekturen haben, )
Einer der gefährlichsten Effekte (den man sich immer wieder bewusst machen muss) beim Massenkorrigieren ist es nebenbei, dass man nicht nur unaufmerksam für Einzelleistungen, sondern sogar ungeduldig mit und ungerecht gegenüber allen SchülerInnen wird, die doch auch nur Opfer dieses Klausurmarathons sind.
Welch ein Skandal aber vor allem, dass da so viel Zeit auf die Nach- statt auf die Vorbereitung des eigentlich Wichtigen, nämlich des Unterrichts, vergeudet wird!: |
wir bestätigen mit jeder Klausur nur, wie schlecht unser Vorunterricht war (notgedrungen sein musste)!
Wie absurd die Lage tatsächlich ist, zeigt sich daran, dass LehrerInnen schon grenzenlos erleichtert "Urlaub" schnuppern, wenn sie "nur" ihrem eigentlichen Beruf, dem Unterrichten, nachgehen dürfen, also mal nicht korrigieren müssen. Die meisten "Ferien" hingegen sind nur "unterrichtsfreie", also Korrekturzeit.
Aber nein, gerade im Zeitalter zunehmend verzweifelt-bissiger "Leistungs"geilheit werden Klausuren ja wieder besonders hochstilisiert ("Parallelklausuren", "Zentralabitur"), weil sie so hübsch der Auslese bzw. dem Sozialdarwinismus dienen: denn natürlich prüfen sie nicht in erster Linie, was jemand kann, sondern nur, was jemand unter Druck kann; und das alles unter dem widerlichen Mäntelchen der "Objektivität" (und was ist objektiver als Mathematik?).
Ich habe in 15 Jahren Beruf so ca. 10 000 (in Buchstaben: z-e-h-n-t-a-u-s-e-n-d) Klassenarbeiten korrigiert und weiß noch genau: exakt ab der 4379. interessierte es mich einfach nicht mehr - und man gewöhnt sich nie dran, sondern die Phobie wird sogar immer schlimmer: sobald man korrigiert, zieht wieder das ungelebte Leben, dieses Nur-noch-Funktionieren ein.
Und was erwartet man denn auch: im besten Fall reproduzieren die SchülerInnen nur die Weisheiten, die die Lehkraft abgesondert hat und bis zum Erbrechen in- und auswendig kennt.
(Es ist, als ob man nicht Kaffee trinkt, sondern hinterher den Kaffeefilter samt Kaffeesatz isst.)
Und wirklich nur ganz selten liest man da als LehrerIn etwas, was auch einem selbst neu (anders gedacht) ist und das Herz höher schlagen lässt
(im Mündlichen passiert das viel öfter!).
Der schönste Effekt bei Klassenarbeiten ist noch immer, dass da jemand, der lange schlecht stand, urplötzlich eine gute Arbeit schreibt
(und überhaupt freut es mich immer [dünke ich mir dann doch gerecht], wenn eine meiner Erwartungen "enttäuscht" wird; was mir ab und zu vor allem deshalb passiert, weil ich die Klassenarbeiten immer anonym korrigiere, d.h. erst nach Festlegung der Zensur vorne auf den Namen schaue [und erst dann evtl. doch noch pädagogisch ändere]).
SchülerInnen wissen ja gar nicht, dass LehrerInnen sich über solch ein "Aufwachen" wie Schneekönige freuen und dann drei Tage lang beste Laune haben.