Dummheit der Naturwissenschaftler (und Mathematiker)
vgl. auch "Als die Wissenschaft die Nebel von Mythos und Mystizismus zerstreute [...], hat sie damit nicht nur scharf abgegrenzte Inseln des Wissens enthüllt, sondern auch grenzenlose Meere der [ihrer eigenen!] Unwissenheit." "Diese Art des philosophischen Zweifels ist für Wissenschaftler nicht ungewöhnlich, wenn sie die Fünfzig überschreiten. Man könnte es fast die Regel nennen." "Die Philosophen sitzen jetzt nur in der andere Fakultät, sie heißen Planck und Einstein." |
C.P. Snow hat seinerzeit (1959) in seiner berühmten Rede zu
die Hauptschuld des Missverständnisses bzw. der Kluft zwischen Geistes- und Naturwissenschaften noch bei den Geisteswissenschaftlern gesehen, die
(wie heute noch Schwanitz in , was natürlich unbedingt durch Fischers korrigiert und ergänzt werden muss)
Naturwissenschaften nicht zur Bildung, sondern wohl eher zur eiskalten bzw. einfach nur praktischen Technik zählen
(als hätten sie noch nie von "Grundlagenforschung" gehört - und nicht bemerkt, wie Naturwissenschaften [ob wir wollen bzw. obs uns gefällt oder nicht] massiv unser Welt- und damit auch Selbstbild verändern).
Meiner Erfahrung nach ist es aber eher umgekehrt:
Zwei Beispiele:
Mathematik (sonstige) Geschichte
geben könnte,
- also einerseits die Mathematik und die Naturwissenschaften die (sonstige) Geschichte beeinflussen
(also probeweise mal die These, dass Newton und mit ihm die mathematische Welterklärung erheblich wirkungsmächtiger war als Napoleon),- umgekehrt aber auch die Zeitläufte auf die Mathematik und Naturwissenschaften "zurück"wirken
(vergleiche etwa ),
also etwa
- Kopernikus
- Galilei
- Newton
- ...
Auflösung des alten Weltbildes
- Neuzeit
- Renaissance
- Kolumbus
- Reformation
- Zentralperspektive
- ...
- Mathematiker und Naturwissenschaftler also (samt ihren Erkenntnissen) "Kinder ihrer Zeit" sind
und somit Mathematik und Naturwissenschaften Teile der kulturellen Geschichte sind
(nun, woher sollten sie es auch wissen, wo doch im [Schul-]Fach "Geschichte" oftmals nur politische Geschichte "getrieben", der mathematisch-naturwissenschaftliche Anteil aber [aus umgekehrter Unkenntnis] meist sträflich vernachlässigt wird?),war ihnen wieder schlichtweg UNDENKBAR.
Vielmehr schwebt(e) für sie die Mathematik über den Wassern der Geschichte.
(Wobei der Denkfehler natürlich darin besteht,
- Mathematikgeschichte als rein intern anzusehen:
- die berühmte Anekdote um Newtons Apfel spielt ja in einem lauschigen Garten [dem unschuldigen Paradies vor allen Zeiten] und - wie etwa auch das Decamerone Boccaccios - fernab aller "verpesteten" Gesellschaft und ihrer Widrigkeiten,
- wenn es denn stimmt, dass der Mathematiker Poincaré auf eine seiner zentralen Ideen beim Besteigen eines Busses kam: hat er oder jemand später mal darüber nachgedacht, ob seine Idee mehr oder minder ursächlich mit solch einem neumodischen Gefährt zu tun haben könnte?
- von den Auswirkungen der Mathematik abzusehen
- und nur ihre in der Tat überhistorischen Ergebnisse zu betrachten.)
Der Aufhänger von Richard Dawkins Buch „Der entzauberte Regenbogen“ besteht darin, dass Newton den Regenbogen mittels der Zerlegung des Lichtes in Spektralfarben „erklären“ konnte und dass viele Menschen das bis heute als eine Entzauberung verstehen. Mit Recht wehrt sich Dawkins dagegen:
„Der Naturwissenschaft [und das hieße doch letztlich: der Natur selbst!] vorzuwerfen, sie nehme dem Leben die Wärme, die es erst lebenswert macht, ist so grotesk falsch, meinem eigenen Empfinden und dem der meisten Naturwissenschaftler so diametral entgegengesetzt, dass mich fast schon die Verzweiflung packt [...]. Mit diesem Buch möchte ich eine positivere Antwort geben und das Wunderbare in der Naturwissenschaft in den Mittelpunkt rücken, denn wenn ich daran denke, was die Kritiker und Nörgler verpassen, werde ich wirklich traurig.“
U.a. am Ausgangsbeispiel, der vielfältigen naturwissenschaftlichen Erklärung des Regenbogens, zeigt Dawkins auch tatsächlich den Zauber der Naturwissenschaft:
„Kann irgendjemand ernsthaft behaupten, es verderbe die Freude, wenn man weiß, was im Inneren all der vielen tausend fallenden, glitzernden, reflektierenden und brechenden Regentropfen vorgeht?“
Ein Volltreffer nach einer astronomischen Erklärung ist auch:
„Das sind ein paar ernüchternde astronomische Tatsachen, und wie man leicht erkennt, sind sie wunderschön.“
(Auf eine ganz simple Idee kommt Dawkins aber nie: dass am falschen, eiskalten Bild der Naturwissenschaft die Naturwissenschaftler selbst "schuld" sein könnten.)
Und doch vergibt Dawkins leider letztlich sein großes und so ENORM WICHTIGES Thema:
wird sein Text (wie schon oben in „Kritiker und Nörgler“ deutlich) von Arroganz und bloßem Unverständnis beherrscht: Dawkins urteilt meist über vor- und unnaturwissenschaftliche Weltsichten, statt sie zumindest verstehen zu wollen;
kritisiert Dawkins manchmal Poesie mit naturwissenschaftlichen Mitteln: als wenn es Aufgabe von Poesie wäre, der naturwissenschaftlich-mathematischen Logik zu gehorchen!
Letztlich bleiben alle (häufig eingestreuten!) Lyrik-Zitate in Dawkins Buch aufgesetzt: er hat nicht nur – eigenem, sympathischem Eingeständnis nach – keinerlei Begabung zur Produktion von Dichtung (wie er selbst sagt: man muss weder Musik noch Naturwissenschaft produzieren können, um sie genießen zu können), sondern ihm fehlt auch jegliches Verständnis bei der Rezeption von Dichtung.
Dennoch hat Dawkins natürlich durchaus Recht, wenn er sagt:
„Naturwissenschaft ist eine Inspiration für große Dichtung oder sollte es zumindest sein [...]“
(und umgekehrt!)
wendet sich Dawkins lang und ermüdend breit (und wieder ohne jedes Verständnis) gegen (angeblichen?) Aberglauben und da insbesondere Astrologie: das war - s.o. - nicht Thema seines Buches, sondern er hätte dem Schwachsinn Schönheit entgegenstellen sollen!
(so, wie man dem Privatfernsehen oder der Bild-Zeitung nicht beikommt, indem man sie kritisiert [was immer entlarvend verbiestert wirkt], sondern durch Besseres, aber nicht minder Lustvolles zu überzeugen versuchen muss).
zeigt sich bei Dawkins mal wieder die typische Dummheit von Naturwissenschaftlern. Da schreibt ein Kritiker der Naturwissenschaften:
„[Natur-]Wissenschaftler wissen nichts, und ich weiß auch nichts – aber wenigstens weiß ich, DASS ich nichts weiß“
(eine Anspielung auf Sokrates berühmtes Zitat „Ich weiß, DASS ich nichts weiß“).
Und wie antwortet Dawkins?:
„Jeder Naturwissenschaftler würde jetzt energisch protestieren: Zu wissen, WAS wir nicht wissen, gehört zum innersten Kern der Naturwissenschaften.“
(nebenbei: dieses "was" ist kein Übersetzungsfehler und auch kein einmaliger blackout: es wird später nochmals wiederholt)
Was für ein hanebüchenes – und für viele Naturwissenschaftler typisches – Missverständnis, bzw. was für eine dummdreiste – und ebenfalls typische - Sinnentstellung!
„... DASS ich nichts weiß“ bedeutet ja wohl schließlich: „ich weiß GAR NICHTS [außer paradoxerweise, dass ich GAR NICHTS weiß]“. „... WAS wir nicht wissen“ hingegen bedeutet: „mir ist bewusst, dass wir EINIGES nicht wissen [ansonsten aber »ALLES« wissen]“ (mal ganz abgesehen davon, dass Dawkins aus einem konkreten – und doch alle Menschen meinenden - „ich“ ein schlappes – und nur die Naturwissenschaftler meinendes - „wir“ macht).
(Glücklicherweise gibt es allerdings von naturwissenschaftlicher Seite auch differenziertere Aussagen zum Nichtwissen.)
Oje, wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Da schreibt mir doch ein (leider anonymer) Leser Folgendes, was meine Argumentation (zumindest vordergründig) arg schwächt - und mein Altgriechisch ist inzwischen zu schlecht, um es beurteilen zu können:
"Auch über seinen Tod hinaus haben sich viele Zitate Sokrates gehalten: Die bekanntesten sind wohl »Erkenne dich selbst« (altgr. gnothi seauton), ein Spruch der aber auch über dem Eingang des Apollon-Tempel in Delphi stand, und »Der Mensch handelt schlecht, wenn er das Gute nicht weiß«. Als bekanntestes seiner Zitate gilt aber fälschlicherweise »ich weiß, dass ich nichts weiß« (altgr. oida ouk eidos; dt.: ich weiß, daß ich _nicht_ weiß.). Nur auf Grund einer falschen Übersetzung wird es Sokrates zugeschrieben. Das Original-Zitat, welches dann falsch interpretiert wurde, findet sich in Platons Apologeia 4b. Dort läßt Platon Sokrates in seiner Verteidigungsrede sagen: "Ich scheine also um dieses wenige doch weiser zu sein als er (gemeint ist ein anonymer Ankläger),...daß ich, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen (altgr. hoti ha me oida oude oiomai eidenai).« Aus dem Nebensatz wurde schließlich das falsche Zitat: »Ich weiß, daß ich nichts weiß«. Sinngemäß sollte das Zitat: »Ich weiß, was [!!!] ich nicht weiß« heißen.
Und ein Klugscheißer, der den Sexappeal von Antinomien nicht begriffen hat, ergänzt:
"Diesen Satz »Ich weiß, dass ich nichts weiß«" zu gebrauchen, zeugt aber auch davon, daß der Autor noch nicht einmal einen Grundkurs in formaler Logik absolviert hat, denn sonst wüßte er, daß hier eine echte Antinomie (Selbstwiderspruch) vorliegt:
Wenn jemand nichts weiß, dann kann er auch nicht wissen, daß er nichts weiß!"
(Quelle: )
Es gibt leider all zu viele Beispiele für die genannte typische und im populärwissenschaftlichen Bereich geradezu gefährliche Dummheit von Naturwissenschaftlern.
Nur zwei weitere Beispiele:
„Die dritte Kultur“ von John Brockman und „Die Einheit des Wissens“ von Edward O. Wilson: beides Bücher, aus denen man unendlich viel – und sehr anschaulich! - über Naturwissenschaften lernen kann, die aber dummdreist ihr vermeintlich zentrales Anliegen
(vgl. die programmatischen Buchtitel sowie Wilsons Satz „Das gewaltigste Projekt des Geistes war und wird immer der Versuch sein, die Natur- und Geisteswissenschaften miteinander zu vereinen.“),
nämlich die Vermittlung zwischen den „zwei Kulturen“ (C.P. Snow) Geistes- und Naturwissenschaft, verfehlen, ja, die Kluft durch gnadenlose Arroganz nur noch vergrößern.
Vgl. pars pro toto in Brockmans Vorwort den blindwütigen Angriff gegen traditionell literarische Intellektuelle inkl. des amerikanischen Weltbeglückungschauvinismus sowie Wilsons Sätze
„Die einzige Möglichkeit, Vereinigung [von Natur- und Geisteswissenschaft] zu erreichen oder abzulehnen, bieten naturwissenschaftliche Methoden [...]“
sowie
„Daher ist es unser [?] gemeinsames Ziel, soviel Philosophie wie nur möglich in Wissenschaft [!?] zu verwandeln“:
Solche
(trotz der vordergründigen Einschränkung "soviel [...] wie nur möglich")
Rohrkrepierer-„Argumente“ beenden vorzeitig jegliche angeblich doch bezweckte Diskussion und sind nur entlarvende geistige Armutszeugnisse ihrer Urheber. Sie bestätigen nur den Eindruck, dass viele Naturwissenschaftler ein zentrales Manko haben: linguistisch-literarisch-diskursiv-historisch-erkenntnistheoretische Unbildung.
Manchmal scheint mir tatsächlich: populär naturwissenschaftliche Bücher können nur (und sollten endlich!) von Geisteswissenschaftlern geschrieben werden
(die allerdings dringend ihr meist nur Unwissen kaschierendes Vorurteil, Naturwissenschaft sei keine „echte“ Kultur, aufgeben und den naturwissenschaftlichen Fachleuten zuhören sollten)!
Natürlich gibt es auch phantastisch populärwissenschaftliche Vereinigungen aus der Hand von Naturwissenschaftlern
(z.B. unterläuft Ilya Prigogine und Isabelle Stengers in „Dialog mit der Natur“ oder Brian Greene in „Das elegante Universum“ nie ein geisteswissenschaftlicher Schnitzer),
und die wahrhaft Großen (z.B. Einstein oder Heisenberg) waren ja sowieso mit allen kulturellen Wassern gewaschen – und ja gerade deshalb so groß!
Es ist für mich eben kein Zufall, dass Heisenberg auf Helgoland abwechselnd und einander ergänzend dreierlei gemacht hat:
Nun impliziert "Dummheit" oftmals allerdings einen Vorwurf: da ist jemand dumm geblieben, weil er die durchaus vorhandenen Chancen, dazu zu lernen, nicht wahrgenommen hat.
Mir geht es hier aber letztlich um eine fairere, "objektivere" Diagnose: viele Naturwissenschaftler und Mathematiker scheinen mir "funktionale Analphabeten" zu sein, und es ist nurmehr arrogant, einem Analphabeten aus seiner Unfähigkeit persönlich einen Strick zu drehen.
(Unter "funktionalen Analphabeten" versteht man Menschen, die zwar durchaus Lesen und Schreiben gelernt haben, aber unfähig sind, längere Texte [die über Stichworte, Kurzinformationen und Gebrauchsanweisungen hinausgehen] zu lesen und zu schreiben.
Angeblich nimmt in unserer Gesellschaft solch funktionaler Analphabetismus rapide zu, d.h.: eine kleine Clique liest [als Rückzug aus dem versammelten medialen Schwachsinn und als Widerstand gegen ihn?] vermehrt, eine immer größere ist dazu aber [mangels Konzentrationsfähigkeit?] inzwischen völlig unfähig.
Maßgeblich zum funktionalen Analphabetismus beizutragen scheint mir nebenbei die Email-Seuche: da werden nur noch unausgegorene, radikal kurze und oft schlichtweg sprachlich dummdeutsche Gedankensplitter ausgetauscht.)
Ich kenne so einige Naturwissenschaftler/Mathematiker, die schon in der Schule (angeblich) aussichtslos sprachlich-literarisch schlecht waren (umgekehrt gibt es das ja auch bei naturwissenschaftlich-mathematischen "Nieten") und es gründlich satt haben, sich das ihr Leben lang von sprachlichen Korinthenkackern vorwerfen zu lassen, also nie auf "Haftprüfung" hoffen zu dürfen. Irgendwann haben sie nur noch die "Leckt-mich-", wenn nicht gar "Jetzt-erst-recht-(nicht)-Haltung"
(etwa so, wie Menschen, die - das solls doch geben! - nunmal reale Probleme mit [einigen] Ausländern haben und schon allein deshalb immer als Rassisten abgestempelt werden, irgendwann sagen: "o.k., dann bin ich halt ein Rassist; wenn ihrs so haben wollt, könnt ihrs auch haben").
Fast scheint mir, dass viele Mathematiker eben gerade erst wegen ihrer (angeblichen) "Sprachschwäche" in die Mathematik geflüchtet sind - und dementsprechend auch nie die Feinheiten und Unwägbarkeiten mathematischer Sprache (!) auskosten können.
Viele Mathematiker und Naturwissenschaftler sind völlig unfähig, feinere (auch längere) Differenzierungen wahrzunehmen. Sie hören keine Zwischentöne, keine Textdramatik und keine schillernden Variationen, sondern nur Wiederholung (also Geschwafel und Redundanz).
Für sie muss mathematisch aus A ein B folgen, muss ein Text also unilinear-eindimensional sein. Ein Umkreisen des Themas, ein sukzessives Ausleuchten von allen Seiten bzw. ein Denken in essayistischen Spiralen passt nicht in ihren Kopf.
Und schon gar nicht können sie mit scheinbaren, in Wirklichkeit produktiven "Widersprüchen" leben: damit, dass jemand bewusst auch mal die andere Seite der Medaille bedenkt und - um mit Hegel zu reden - eine übergeordnete "Synthese" sucht.
Wenn sich mal jemand probeweise zum Vertreter der anderen Seite bzw. "advocatus diaboli" macht, sehen sie darin nur Provokation (also unernstes Spiel) bzw. Positionslosigkeit.
Letztlich haben sie nicht verstanden, was "Sprache" eigentlich ist: ein (unumgängliches, aber auch höchst genussvolles) Abwägen von Weltmodellen.
Nun kann und muss ja nicht jeder alles können. Schule baut ja darauf, dass die SchülerInnen durch verschiedene LehrerInnen/Fächer auch verschiedene Aspekte kennenlernen sollen.
Nur lässt man - so scheint mir - die SchülerInnen sträflich beim "Zusammenbau" allein. Man wirft ihnen ein Puzzle aus tausend Einzelteilen vor die Füße, zeigt ihnen aber nicht, wie Puzzles (auch die, die im späteren Leben anfallen mögen) zusammengesetzt werden.
Bzw. sie sehen in einem Puzzle nur einen Scherbenhaufen: den Scherbenhaufen einer zersplitterten (widersprüchlichen) Welt bzw. aus unzusammenhängenden Welten.
SchülerInnen brauchen eben dringend auch LehrerInnen, die ihnen ansatzweise das Zusammensetzen zeigen.
Nochmals: "funktionalen Analphabetismus" meine ich als Diagnose (die Ausnahme bestätigt wie gehabt die Regel), nicht als Vorwurf. Denn die "Schuld" liegt ja oft außerhalb der Person:
es ist einem einfach nicht gegeben, man ist da sozusagen farbenblind geboren
(ich habe ja auch nicht alle Fähigkeiten dieser Welt; z.B. habe ich zwar durchaus ein feines Gespür für Düfte [ein Frühlings- oder Herbstduft kann mich völlig überwältigen] und halbwegs für Geschmäcker, aber kein Vokabular dafür: ich schmecke zwar z.B. "süßsauer", aber das Wort sagt mir nichts; "süßsauer" heißt für mich nur "wie meist im chinesischen Restaurant").
man hats halt nie gelernt, d.h. es gab tatsächlich gar keine Gelegenheit, es zu lernen (selbst wenn man gewollt hätte).
Man schaue sich doch nur mal an, wie stumpf die Schul- und Universitätsmathematik ist, aus der diese Leute stammen. Da zeugt nur ein (sprachlicher) Homunkulus den nächsten, das erbt sich von Pädagogengeneration zu Pädagogengeneration fort.
(Der Mathematikunterricht ist - im Schnitt - derjenige, in dem sich in den letzten 20 Jahren am allerwenigsten geändert hat.)
Keine Ahnung, wie man das ändern sollte. Zwar schwebt mir vor, was es ja mal gab bzw. in einigen Bundesländern angeblich noch gibt: ein "Philosophikum", d.h. eine im Rahmen des 1. Staatsexamens zwangsweise für alle (also keineswegs nur für Philosophen oder Geisteswissenschaftler) abzulegende Prüfung in Philosophie (und Geschichte ...) für Lehramtskandidaten.
(Ich würde allerdings gleich ein "Naturwissenschaftikum" für alle Geisteswissenschaftler hinzufügen.)
Nur bringt solch eine Vorschrift natürlich gar nichts, sondern macht evtl. alles nur noch schlimmer: wie die für alle LehramtskandidatInnEN obligatorischen Fachdidaktik- und Pädagogikseminare wird das nur widerwillig und pro forma erledigt (für die Prüfung nur stumpf auswendig gelernt), und hinterher ist die Abneigung nur um so größer: ich kenne ja tatsächlich Mathematiklehrer, die sogar noch stolz darauf sind, sowas "Unwissenschaftliches" wie Pädagogik weit hinter sich gelassen zu haben.
Nein, als einzige Möglichkeit sehe ich Graswurzel-Überzeugungsarbeit, d.h. interessante "geisteswissenschaftlich angehauchte" Populärwissenschaften.
Ich habe mit gewissen Vertretern der Naturwissenschaften und Mathematik manchmal einfach nur (niemals herablassendes) Mitleid, bzw. ich finde es einfach nur schade, dass sie nie Gelegenheit hatten, den kulturellen Aspekt ihrer Wissenschaft mitzubekommen;
genauso, wie ich es einfach nur schade finde,
dass viele Geisteswissenschaftler nie die wunderbare Schönheit von Naturwissenschaft & Mathematik mitbekommen haben,
dass beide Seiten die Buntheit der Welt und die atemberaubende Schönheit der "Schöpfung" (der Diskurse über sie bzw. der Konstruktionen von Wirklichkeit) in all ihren Fassetten verpassen.
Meine harschen "Urteile" besagen nie etwas über die Personen. Ich kenne hübsch einseitige und doch (keineswegs nur als "Behinderte") ausgesprochen liebenswerte Naturwissenschaftler und Mathematiker.
Kommt hinzu (und das sage ich durchaus mit einigem Neid bzw. sogar Selbstvorwürfen), dass viele Mathematiker, die ich kenne, innermathematisch erheblich besser sind als ich und - als Lehrer - erstklassig innermathematisch erklären können.
Ein Grund für die Aufspaltung in (mindestens) zwei Kulturen ist sicherlich auch die zunehmende und unabwendbare Spezialisierung bzw. Arbeitsteilung: schon allein die Mathematik ist so "groß", dass keiner mehr all ihre Teilgebiete überschauen kann, und wie sollte da jemand auch noch zusätzlich über ihren Tellerrand hinausschauen können?
Und doch möchte ich drauf bestehen, dass jeder Spezialist auch eine ansatzweise Allgemeinbildung hat. Das ist auch und gerade für sein eigenes Spezialgebiet wichtig, damit er über den Tellerrand des dortigen status quo hinausschauen kann.