pädagogisches

alles Seifenblasen, alles heiße Luft
(... was nun wahrhaft nicht neu ist;
man erinnere sich nur mal an den linken Jargon der 60er Jahre,
der einem in historischer Distanz nur besser auffällt)


(zitiert nach: nds 4/2003)

 

 

vgl. auch

 

 

"Sie sollten auf jeden Fall das Wort »Antizipation« in ihr Fachvokabular aufnehmen. Wir werden in unserem Studienseminar mit solchen Wörtern totgeworfen [...]" (L.B.)

"Ich bin momentan Referendar (an einer Hauptschule) und muß mir (vereinfacht gesagt) manches Gesülze am Seminar anhören. Es ist dort teilweise wie eine Sekte. Unsere Gebete heißen »Mindmaps« und die Päpste sind Beststellerautoren. Alles ist dermaßen »ganzheitlich« daß mir oft ganz unwohl dabei wird. Und von wegen »Praxisschock Referendariat«: daß Hauptschüler keine Lämmer sind, das war mir klar. Ich bekam eher einen Theorieschock: was da gefaselt wird und auf welche Art und Weise, das ist unglaublich. Da wird zu irgendeinem Begriff irgendwelches Zeug geredet, ein paar Striche gezogen und fertig ist die Mind-Map. Das ist nur ein Detail. Da wird ständig von »Input« durch die »Lernkanäle« gesülzt, daß es mir manchmal das Frühstück fast durch den Speiseröhrenkanal wieder als Output herauskommt. Man wird z.B. gefragt, was für ein Lerntyp man sei. Viele Referendare sagten, daß sie es nicht wüßten, und sogleich wurde uns gesagt, daß das ja schlimm sei, wenn man so etwas heutzutage nicht wüßte. Da wird hier und da irgendwas herausgepickt, was leicht einprägsam und parolenhaft herunterspulbar ist: »wir reden immer in Ich-Botschaften«, »jeder Mensch ist anders« und ähnliches." ( R.)

... und wehe, wenn man als Referendar einen Fachleiter hat, der "Konstruktivist" ist!

"[...] ich bin schon oft über das »pädagogische Dummdeutsch« u.ä. (insbesondere über die »Fortbildungen« [...]) verzweifelt; Ihre Seite ist für mich wirklich eine große Hilfe, wenn es darum geht, mich wieder aufzurappeln und sinnvoll weiterzuarbeiten.
Dafür möchte ich Ihnen vielen Dank sagen."
(K.D.E.)
 


"[...] Warum steigt der Bullshit-Quotient?

Weil der Schwall der Wörter ein gutes Versteck bietet. Wer die Schärfe meidet, eckt nicht an, provoziert keine Kritik. Die basic issue ist es, defensive oder gar aggressive Reflexe zu minimieren; sonst kostet es Kunden und Wähler. Hier vereint sich also Marketing-Sprech mit Political Correctness. Niemandem wehtun, am wenigsten sich selber. Lau badet’s sich gut, im Schaum noch besser. Doch stumpfe Sprache stumpft auch das Gehirn ab – des Redners wie des Zuhörers. [...]"
(zitiert nach  )

 

Die modischen Floskeln sind untrügliches Indiz dafür, dass da jemand noch nie einen einzigen eigenen, geschweige denn neuen Gedanken hatte.

Wenn also jemand beispielsweise in einer Rede das Wort "coaching" benutzt, kann man sich gleich die gesamte Rede sparen.

Bildungsplaner-Bingo:


erledigt: Redefloskel:

"Qualität(ssicherung)"

Qualitätsmanagementsystem nach DIN EN ISO 9002 zertifiziert

[möglichst häufiger Gebrauch dieses Null- bzw. Schrottwortes "Qualität" fördert derzeit ungemein die Karriere: "Qualität" hört sich immer unheimlich "gut" an - nur entspricht der Quantität der Wortbenutzung niemals eine Qualität, denn inhaltlich gefüllt wird "Qualität" ja nie - es sei denn, man meint damit "Bestehen Deutschlands [!] auf dem Weltmarkt" im Zeitalter der "Globalisierung" [s.u.];
kommt hinzu, dass es sich rundweg verbietet, im Zusammenhang mit Menschen von "Qualität" (des Menschenmaterials?!) zu sprechen]

Ein ganz besonders hübschhässlicher Satz ist nebenbei:

"Fortbildung [...] verankert in einer Schule als gemeinsames Qualitätsverständnis das Qua-litätstableau der Qualitätsanalyse NRW."
(zitiert nach )

"Effizienzsteigerung"
[auch so ein Unkrautwort in allen Bereichen (und zu allerletzt dann auch in der Pädagogik) und allen Staaten; letztlich damit gemeint sind Verwertbarkeit (von "human resources"!) und Stromlinienförmigkeit; denn das Wort stammt eindeutig aus der Ökonomie

"Qualitätssicherung" wie auch "Effizienzsteigerung" sind zudem zutiefst pessimistische Wörter, setzen nämlich direkt (Sicherung) oder indirekt (Steigerung) immer Rückschritt bzw. Stillstand voraus]
 

"Leistung (muss sich wieder lohnen)"
sagen diejenigen, für die es sich (finanziell) gelohnt hat!


 

"lebenslanges Lernen" inkl. "Mobilität"
fordern diejenigen, die beide nie nötig hatten
[lebenslang = lebenslänglich ohne Haftprüfung;
Mobilität = das Ländle, also Stuttgart(Stammheim)]


 

"Globalisierung"
[hört sich - als Drohung - immer gut an, weil es Weltgeltung hat, etwa so wie "Dritter Weltkrieg";

]
 

"Schulzeitverkürzung", von ganz Fortschrittlichen auch neudeutsch "Akzeleration" genannt
[Beschleunigung auf Teufel komm raus: mit 180 gegen die Betonmauer, und dann - Unfallstelle weiträumig absichern; wie man ja überhaupt - auch mit Einstellung von Nicht-PädagogInneN - andauernd zeigt, wie piepegal  Schule (oder genauer: irgendwelcher Inhalt) einem in Wirklichkeit ist;

]
 

"Vergleichbarkeit"
[= Pseudoobjektivität; und der Objektivitäts-Overkill ist dann das "Zentralabitur" (vgl. Zentralkomitee der KPdSU bzw. der deutschen Katholiken) samt seiner ideologischen Vereinnahmungsmöglichkeiten;
vgl. auch und - trotz treudoofen Nachbetens des ganzen Quali-Schwachsinns - im positiven Sinne: Texte ]
 

"Evaluation"
["lasst uns evaluieren; solange wir evaluieren, sind wir nicht tot (bzw. ganz ungeheuer wichtig)"; eigentlich sollte man überhaupt nur noch (im Nachhinein) "evaluieren" (damit kann man ganze Kommissionen und Beamtenstäbe beschäftigen) und überhaupt nicht mehr vorbereiten; zudem glaube ich nur Evaluationen, die ich selbst gefälscht habe]

"Glaube keine Evaluation, die du nicht selbst gefälscht hast!"
 

"Nachhaltigkeit"
["Auferstanden aus Ruinen
  und der Zukunft zugewandt
  [...]
  Laßt uns pflügen, laßt uns bauen,
  Lernt und schafft wie nie zuvor,
  Und der eignen Kraft vertrauend,
  Steigt ein frei Geschlecht empor."]
 
"pädagogischer Konstruktivismus"
[früher war alles (alle Pädagogik) Kacke; "Konstruktivismus" hört sich immer supergut, nämlich so ungemein "konstruktiv" an]
 
"Teamfähigkeit"
["Piep, piep, piep, wir ham uns alle lieb":
 "Hinter der Trommel her
  Trotten die Kälber,
  Das Fell zu der Trommel
  Liefern sie selber."]
 

"(ökonomischer) Anwendungsbezug"
[und sei die Anwendung noch so an den Haaren herbeigezogen, also "eingekleidete Mathematik"; vgl. ]
 

und noch so ein zukünftiges In-Wort; dringend für die Karriere merken:
"Enrichment"
[= Anreicherung der Unterrichtsangebote; im Vergleich damit hört sich "Profilklasse" doch geradezu ärmlich an]
 

Nachträge

(denn die Bildungsplaner arbeiten ja bienenfleißig  weiter an der Hypertrophie des Wortschrotts; merke: man verändere nicht die Wirklichkeit [bzw. führe höchstens weitere Verschärfungen ein], sondern vermehre nur die Worte: da kann keiner sagen, man habe nichts getan - oder man sei gar überflüssig):

  • "Anforderungskultur",
  • "Realerlebnisse"
    (für Erfahrungen, die man nicht am Computer hatte, sondern so wirklich richtig tatsächlich)
  • "mehrfach Hochbegabte"
    (vgl. "multiple handicaped"),
  • "PROfessionelle LErngemeinschaft"
    (PROLEs; gemeint sind stinknormale Lehrergruppen),
  • "PROfis für das LErnen"
    (PROLEs; gemeint sind LehrerInnen; ein geradezu hanebüchener  Euphemismus, wo doch - wie wir ja inzwischen wissen - alle LehrerInnen Nieten sind),
  • "Feedback-Kultur"
    ("Kultur" - man wirds inzwischen bemerkt haben - kommt immer gut),
  • "best practices"
     (für Unterrichtspraxis)

Aber ich gebs auf, ich komme so schnell, wie die produzieren (die tun ja auch den lieben langen Tag gar nichts anderes),  gar nicht mehr hinterher.
 


Jede Wette, daran hat eine hochkarätige Bildungskommission ("Kommission ist immer gut") samt Werbeagentur wochenlang dran gearbeitet:

"Neues Netzwerk für Bildungslandschaft „Lernende Region“"

(und da weiß ich schon vorher, dass dabei nichts rauskommen wird)

Vgl. auch

Esther Vilar: Der betörende Glanz der Dummheit; dtv

 

Klappentext:
"Esther Vilars geistreiche Polemik gegen den Zusammenhang von Dummheit und Karriere, in der sie zu dem provokanten Schluß gelangt, daß die Dummheit ein Garant für gesellschaftlichen [und also auch bildungspolitischen] Aufstieg ist. Denn »Der Klügere gibt nach, der Dümmere macht weiter.«

[...]
Im >Betörenden Glanz der Dummheit< zielen Esther Vilars wortgewandte Attacken auf die gesellschaftlich Arrivierten, den Geldadel und die Machthaber, denen sie einen eklatanten Mangel an Intelligenz bescheinigt. Gerade diesem Umstand, so die Autorin, verdanke die sogenannte »high society« ihren raschen Aufstieg sowie ihr Verbleiben in gesellschaftlichen Spitzenpositionen. Dabei operiert Esther Vilar mit einer eigenen, neuen Definition von Intelligenz: Intelligenz = Phantasie + Sensibilität. Demzufolge bezeichnet die Formel in ihrer Umkehrung Dummheit als Summe von Phantasielosigkeit und Unsensibilität. »Nach dem hier verwendeten Begriff kann also jemand, der es in unserer Gesellschaft aus eigener Kraft zu hohem Ansehen und Reichtum bringt ... im Grunde [nur] ein dummer Mensch sein, während sich unter Umständen hinter einem Versager ein überdurchschnittlich intelligenter verbirgt.«
In den verschiedensten Bereichen spürt Esther Vilar die Paarung der Dummheit auf: mit Reichtum, Karriere, Liebe, Kunst. Immer wieder konstatiert sie die Überlegenheit des Dummen gegenüber dem Intelligenten, resümiert, daß das Maß der Beschränktheit in einem direkten Verhältnis zur Höhe des gesellschaftlich Erreichbaren und Erreichten stehe."
 

[Wobei zu ergänzen ist:

  • wer sowas sagt, ist noch lange nicht neidisch ["Sozialneid" ist nur ein Vorwurf, den die "Erfolgreichen" erheben, wenn ihre Opfer anklopfen], sondern längst drüber hinweg;

  • sicherlich gibt es hier und da auch Ausnahmen von der direkten Korrelation Karriere/Dummheit;

  • Lästern über die Schickeria/High Society bedeutet letztlich nur Eulen-nach-Athen-Tragen bzw. Leichenschändung, denn die Schickeria/High Society ist ja per definitionem dumm.]

 

Achim Schwarze: Dünnbrettbohrer in Bonn, Eichborn

 

ders.: Noch mehr Dünnbrettbohrer; Eine Materialschlacht der Dummheit; Aus den Dissertationen unserer Elite; 1987
[also ein wenig veraltet, aber problemlos um die nachrückende Generation ergänzbar]

(Mindestens ebenso sehr wie die [Powerpoint-!]Redner, die sich in Nullwörtern ergehen, verachte ich die Zuhörer [Tagungs-Hopper], die bei solchen Vorträgen "Schlau" sagen, seis, weil sie die Seifenblasen wirklich glauben, seis, weil sie Karriere machen wollen.)

Unglaublich, aber neuesten Insider-Informationen nach ist das Wort "Konstruktivismus" ab sofort  nicht mehr karrierefördernd, und man bekommt einen Antrag nicht mehr genehmigt, nur weil dieses Wort darin vorkommt. Leider ist noch unklar, durch welches Passepartoutwort es ersetzt wurde. Im Gespräch ist aber "e-learning".

Nochn Zitat?!:

"Motivation und Qualität beginnen im Denken [oder umgekehrt? Naja, is ja auch egal]. Die Qualität unseres Denkens bestimmt die Qualität des Handelns und damit die Qualität der Ergebnisse."
(Cornelsen Akademie; Workshops und Seminare 2002)

Der "Oscar" für den mit Abstand bescheuertsten Dummquatsch gebührt aber dem Landschaftsverband Rheinland mit dem Slogan "Qualität für Menschen".

Unbedingt zum Schreien komisch ist auch das ganze ökonomistische Rumpfenglisch, das da wabert, also z.B. Flipchart, Template, Flyer ...

(Jeder Fuzzi macht heute [natürlich im Fahrwasser der Ökonomie] einen Flyer [ausnahmslos  dreiteilig], und überhaupt ist "corporate identity" [durch die Bank (glücklicherweise) nichtssagende "Schulprogramme" und Schullogos] wichtiger als jeder Inhalt.
A propos "Schulprogramme", die Schulen jetzt anfertigen müssen [eindeutig eine Unternehmensberater-Schnapsidee]: sie ergehen sich im besten Fall in 10000 wohlklingenden Floskeln: es kommt [und das ist ja durchaus gut!] rein gar nichts dabei herum außer enormer Mehrarbeit.
Sehr schön auf den Punkt gebracht hat das Rainer Winkel in

Er wird darin zwar nicht so grundsätzlich wie ich, zeigt aber doch die entscheidenden Probleme auf:

Wer den anglophonen Insiderjargon nicht beherrscht, wird verständnislos und despektierlich angeschaut, sieht ziemlich alt (hoffnungslos veraltet) aus und hat auch tatsächlich das Gefühl, nicht mitreden zu können (was Sinn und Zweck ist).

(Und nebenbei: dieses Rumpfenglisch ist ja schon in der "freien" Wirtschaft von betörender Dummheit

[jeder 25jährige Bürovorsteher schimpft sich heute "senior assistant manager"]

oder aber schlichtweg menschenverachtend

["human ressources", die nur dazu geboren sind, "freigesetzt" zu werden].

Aber in der sogenannten "freien" Wirtschaft ist es auch schon wieder völlig "out", was Bildungsplaner allerdings erst in frühestens 35 Jahren merken werden.)

All das passt nur allzu gut in unsere Zeit aus Bankfurt und Potsdamer (Protz-)Plätzchen

(also einer Machtarchitektur, die erniedrigen soll; und ein lächerliches Möchtegern-Manhattan)

und spiegelt sich herrlich in Anleitungen für verunsicherte Möchtegern-Sozialratten:

Was steckt dahinter, wenn Leute heutzutage systematisch und verlässlich in ihren (Powerpoint-)Reden

"Sie haben noch keinen PowerPoint-Vortrag gehört? Stellen Sie sich zunächst einen langweiligen Diavortrag vor. Nun denken Sie sich einen Haufen simpler, nichts sagender akustischer und optischer Feuerwerke dazu. Das ist PowerPoint: ein langweiliger Diavortrag, ergänzt mit belanglosen Knalleffekten.
Vor zehn Jahren galten solche Graphikshows noch als avantgardistisch. Heute ist das ein alter Hut. PowerPoint ist der Feind jeden guten Vortrags."
(Clifford Stoll in: LogOut)

und Aufsätzen das Wort "Qualität" unterbringen, und zwar meist in der ersten oder letzten Zeile, damits aber auch noch der Dümmste merkt? (Beispiele spare ich mir gerade deshalb, weil sie unkrautartig allüberall wuchern.)
Das kann nur Absicht sein. Aber glauben sie denn wirklich an diese reflexartigen Schlagwörter? Man muss wohl unterstellen, dass sie tatsächlich derart umwerfend phantasielos sind. Oder ist das gezielte, vielleicht gar zynische Anbiederung an den mainstream?: "ich würde denen alles erzählen, Hauptsache, die befördern mich." Sie wissen ganz genau, dass sie nichts Eigenes zu sagen haben und der Kaiser nackt ist.

(Freunde, die in der sogenannten "freien" Wirtschaft arbeiten, berichten, dass es da im Schnitt auch nicht intelligenter zugeht - und dieselben Nullworte grassieren.)

Wir kämen selbstverständlich niemals auf die Idee zu unterstellen, dass die Verwendung der Floskeln euphemistische, also durchaus bösartige bzw. zynische Absicht ist: Ideologie als gezieltes Ablenkungsmanöver von den eigenen (u.a. ökonomischen) Interessen.

Das Beste, was man über die Floskeln (wie auch über die derzeitige Wirtschaftsideologie und Bild ) sagen kann, ist noch, dass sie eine schnell vergängliche Modetorheit sein werden, die bald (das war schon immer so) durch die nächste Modetorheit ersetzt werden wird: die derzeitigen Modewörter werden 

- wenn da nicht, wie etwa durch Reagan & Thatcher, allzu viel soziales Porzellan zerschlagen wird; und diese (pädagogische) Gefahr ist ja eben der Grund, mich hier überhaupt einzumischen -

die liebenswerten Nierentische der Jahrtausendwende sein, und über (pars pro toto) "Qualität" wird man ein wenig mitleidig schmunzeln wie heutzutage über den 70er-Jahre-Weichei-Jargon, also "Befindlichkeit", "in den Raum stellen", "sich (natürlich sehr »intensiv« und »sensibel«) drauf einlassen" und alle billigkatholische Weg-Metaphorik à la "der Weg ist das Ziel".

Es ist sogar schon längst so weit:
während die pädagogische Nachhut noch treudoof die derzeit gängigen ökonomischen Schlagworte nachbetet

(und im besten Fall nicht mal ahnt, wie sehr sie sich da [auch sprachlich] vereinnahmen lässt),

ist die ökonomische Avantgarde (z.B. - s.u. - der immerhin doch Nobelpreisträger Stiglitz) doch längst weiter,

wieder

(wenn auch nicht als schlichte, billiglinke Rückkehr zu alten Patentrezepten; und bemerkenswert, wenn nicht gar urkomisch ist es ja doch, dass neuerdings ausgerechnet viele Linke wieder Staat und Politik herbeibeten, die sie doch früher pauschal als "Schweinesystem" ablehnten, ja regelrecht bekämpften):

Vgl. z.B.

Joseph E. Stiglitz: Der Schatten der Globalisierung; Siedler
Niall Ferguson: Politik ohne Macht; Das fatale Vertrauen in die Wirtschaft; DVA
Michael Hardt, Antonio Negri: Empire; Die neue Weltordnung; Campus

Aber man übersehe eben auch nicht:

 

Markus Balser, Michael Bauchmüller: Die 10 Irrtümer der Globalisierungsgegner - wie man Ideologie mit Fakten widerlegt; Eichborn

Selbstverständlich muss man Traditionen ab und zu den Gegebenheiten anpassen - oder sie sogar eventuell ganz abschaffen. Aber mir geschieht das doch derzeit allzu leichtfertig, also geschichtsblind:

Letztlich stören mich aber weder die Anglizismen noch die ökonomischen Ausdrücke: in der zunehmend "globalisierten" Ökonomie ist das wohl unvermeidbar bzw. oft höchst sinnvoll. Sondern störend ist, dass die ökonomische Sprache

  • wie die Ökonomie selbst zunehmend sämtliche anderen Lebenssegmente durchdringt und nach ihrer Pfeife tanzen lässt,

  • stumpf auf andere Bereiche übertragen wird, und zwar meist von Leuten, die nicht mal die ursprünglich ökonomische Bedeutung verstanden haben, sondern sich "nur" mit der klotzig-alternativlosen Legitimität der Ökonomie schmücken wollen und sich deren Autorität borgen.

Wenn mir beispielsweise das Plastikwort "Effizienzsteigerung" unterlaufen würde, würde ich mich doch zu Tode schämen.

Aber die Floskeln werden natürlich nicht nur aus Dummheit verwandt: ich wette, es gibt irgendwo einen "think tank", der den lieben langen Tag nichts anderes tut, als sich neuen Wortschrott für die pädagogische Debatte auszudenken.

Am pfiffigsten ist es dabei,

  1. scheinbar oder wirklich vollkommen unzusammenhängende Wörter (wie z.B. "Anforderung" und "Kultur" im Begriff "Anforderungskultur") durcheinander zu mixen, damit aber auch garantiert keiner mehr weiß, was gemeint ist, worauf hin man alles behaupten kann

(und man verwende überhaupt nur Worte, die jeder unterschreiben kann, also z.B. "Selbstlernen", wenn auch keiner so recht weiß, was das - außer der Banalität, dass echtes Lernen sowieso "selbst" ist - eigentlich halbwegs konkret bedeuten soll);

  1. dem Gegner die Worte im Mund umzudrehen, wie es beispielsweise seinerzeit eine hochintelligente Truppe um Heiner Geißler in der CDU-Zentrale gemacht hat, als sie u.a. das traditionell "linke" Wort "Freiheit" in "Freiheit statt Sozialismus" umwandelte und damit den Gegnern stahl.

Ab und zu braucht man gegen den Superlativjargon wieder "Graubrot" bzw. muss man sich gegen dieses penetrant klebrige, weil letztlich ungeheuer autoritäre Blabla mit hübsch böser, gerne auch themenferner Ironie (z.B. Voltaires "Candide") die Ohren durchpusten, um mal wieder gründlich allen falschen Respekt zu verlieren. Danach dann aber fühlt man sich luftig-leicht und ist man wieder ungeheuer optimistisch.


Aber es sind ja nicht nur die Floskeln (Einzelwörter) unerträglich, sondern die ganze Logik ist kraus.

Ein Beispiel:

Vor einiger Zeit hat die Kultusbürokratie in NRW für die Oberstufe eine "Profilbildung" (d.h. die verbindliche Kopplung zweier Fächer aneinander) vorgeschrieben, und reflexartig haben viele Lehrerkollegien sich zu Tode konferiert. Inzwischen hat aber sogar das Kultusministerium bemerkt, dass alles unausgegoren war - und alles sang- und klanglos zurückgezogen.

Nur wird eine Kultusbürokratie ja nicht so dumm sein, jemals einen eigenen Fehler zuzugeben, sondern sie verbirgt das eigene Scheitern hinter einem Riesenlob (im Folgenden nur ein Ausschnitt):

"Es ist sinnvoll, dass die Schulen aufgrund ihrer konkreten schulischen Situation die zukünftige Umsetzung der Profilbildung in Eigenverantwortlichkeit wahrnehmen. Die Profilbildung soll deshalb nicht verpflichtend festgeschrieben, sondern als Option eröffnet und nachdrücklich empfohlen werden."
(zitiert nach  )

Das muss man sich wirklich mal auf der Zunge zergehen lassen: Weil alles so (angeblich) höchst "sinnvoll" ist, wird es nicht (mehr) verpflichtend gemacht.

  • Entweder die können nicht logisch denken

  • oder ihr höchstes Bemühen besteht darin, das (logische) Wasser zu trüben.

Oder ist der Text noch raffinierter?:

"Es ist sinnvoll, dass die Schulen aufgrund ihrer konkreten schulischen Situation die zukünftige Umsetzung der Profilbildung in Eigenverantwortlichkeit wahrnehmen. Die Profilbildung soll deshalb nicht verpflichtend festgeschrieben, sondern als Option eröffnet und nachdrücklich empfohlen werden."

Auf jeden Fall spielt der Text permanent mit Zucker und Peitsche - und endet (nach aller Freiwilligkeit) der vorletzte Satz doch mit dem Wort "muss", und im allerletzten Satz ist von einer neuen Verwaltungsvorschrift die Rede.

 

PS:

Ich komme mit dem Dokumentieren ja gar nicht so schnell hinterher, wie sich die neuen Floskeln türmen:

  • Urplötzlich ist in der sogenannten "freien" Wirtschaft das "Coaching" in

(jeder Psychoanalytiker schimpft sich plötzlich "Coach", und all das läuft eh nur darauf hinaus, wie man als "Ich-AG" überleben kann, indem man andere fertig macht):

Coaching

[(...) englisch to coach »auf eine Prüfung vorbereiten«, »trainieren«] das, im weiteren Sinn die Förderung von Mitarbeitern (Anlagenentfaltung, Motivations- und Produktivitätssteigerung) durch ihre Vorgesetzten; im engeren Sinn individuelle, meist längerfristige Beratung von Führungskräften bei psychischen Problemen (z.B. im Kommunikations- und Führungsverhalten, beim Burn-out-Syndrom) und Schwierigkeiten im persönlichen Arbeitsverhalten (z.B. Zeitmanagement).
(Brockhaus multimedial 2002)

Und prompt wird das jetzt auch in Schulen nachgebetet:

  • Und noch was Splitterfaserneues: und "Portofolio [Assessment]" (klingt doch geil!?)

  • Port|fo|lio, das; -s, -s <ital.> (Mappe mit Grafiken; Wirtsch. Wertpapierbestand [!])

  • Leitbild und Ziel-"Vereinbarung" (vgl. )

Der nächste, der mir mit solch aufgemotzten Begriffen kommt, wird öffentlich ausgekitzelt!

Laufende Nachträge:

  • das neueste Zauberwort, mit dem man derzeit jeden Antrag bewilligt bekommt: "Förderung (lernschwacher SchülerInnen)",

  • "fordern und fördern" (welch nettes Lautgeklingel!),

  • "implementieren",

  • "wie sind wir aufgestellt?" (neudeutsch "standing"),

  • "etwas kommunizieren" statt  "mit jemandem kommunizieren",

  • "wir haben zwar nix aufm Kasten, aber etwas auf der Agenda",

  • "etwas kommunizieren" (= den Leuten unterjubeln), also die infame Form von "mit jemandem kommunizieren",

  • "Evaluations-" bzw. "Qualitätsagentur" (in ehrlichem Deutsch: "Zentralkomitee »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser«"); und überhaupt ist heutzutage ja jedes "Amt" plötzlich eine "Agentur", jeder "Laden" ein "Kontor" und jedes "Stadion" eine "Arena".

  • "Wir leben, was die Qualität des Unterrichts anbelangt, im Würgegriff des Marketing. Eine zufällige Auswahl aktueller Schlagwortkonzepte zur Qualität des Unterrichts: Methodentraining, Qualitätsmanagement, Prozessorientierung, der Lehrer als Organisator selbstgesteuerter Lernprozesse, Steuerungsgruppen, Zielvereinbarungen. Nicht die tatsächliche Qualität ist wichtig, sondern der Eindruck von Qualität. Und der wird durch Begriffe hergestellt. Was gut klingt, ist gut. Alt ist schlecht – neu ist gut. Wirklich?" (Rainer Dollase in )

  • "Stressmanagement"

  • "[Dingsbums] ermöglicht eine zielgerichtete und gebündelte Arbeit für die Schulen unter einem einheitlichen Management und Controlling." (vgl. )

  • eine Tagung im Jahr 2007: dreißig TeilnehmerInnen - vier Floskeln:

    • "Evaluation",

    • "Qualität",

    • "Moderation",

    • "Professionalisierung".

  • "Kompetenzteam": wer da drin ist, ist noch lange nicht kompetent - und der Rest ist inkompetent?

  • bislang kenne ichs nur aus der Medizin, aber da wirds doch dringend Zeit, es auch in die Pädagogik zu transplantieren: "evidenzbasiert" (und wenn der Chefarzt es gesagt hat, heißt's "eminenzbasiert");

  • von "Exzellenz" schwadronieren nur "Eminenzen" und selbsternannte "»Eliten«", also Dumpfbacken;

  • dieselben Floskeln wie ehedem sind heute "robust" (auch die NATO hat immer ein "robustes Mandat" für ihre Kriege) bzw. "belastbar";

  • jede Wette, dass es eine höchstrangig besetzte "Experten"-Kommission war, die auf der Suche nach einem möglichst exotischen Wort nach monatelangen intensiven Tagungen das Zauberwort "Inklusion" gefunden hat

(oder wurde es nur aus einer englischsprachigen EU-Richtlinie übernommen?).

PPS: Wirklich genial war jener Grundschulleiter, der Floskeln wie "Schulprogramm" und "verlässliche Schule" folgendermaßen eindampfte: "Bei uns lernen die SchülerInnen [nichts außer] Rechnen, Schreiben und Lesen". Jede Wette, dass die Kultusbürokratie ihm als Strafe für solch einen kecken Spruch das Leben unerträglich gemacht hat.
PPPS: